Sünden der Nacht
Genau wie bei den meisten Leuten, die Kinder mißbrauchen, hat Leslie Sewek ein langes
Vorstrafenregister, das praktisch zurückreicht bis in seine Kindheit. Heute abend begrüßen wir Dr. Garrett Wright, Leiter der psychologischen Fakultät des Harris College, der uns die Psyche von Kinderschändern schildern wird.«
Sie setzte sich auf den leeren Stuhl neben Wright und wandte sich ihm mit ernster, interessierter Miene zu. »Dr. Wright, was können Sie uns über die Verhaltensmuster von Männern wie Leslie Sewek berichten?«
Garrett Wright hielt das scheinbar nicht für eine so gute Idee.
»Erstens, Miss Price, möchte ich klarstellen, daß kriminelles Verhalten nicht mein Fachgebiet ist. Ich habe jedoch
Verhaltensstörungen studiert, und wenn ich etwas Licht in das Dunkel dieser Affäre bringen, und den Leuten helfen kann damit 388
fertig zu werden, werde ich das tun.«
»Sie sind Einwohner von Deer Lake, nicht wahr, Doktor?«
»Ja, sogar Nachbar von Hannah und Paul. Wie die meisten Leute in der Stadt wollen meine Frau und ich uns nützlich machen, so gut wir können. Die Unterstützung der Gemeinde und Anteilnahme sind für die Betroffenen sehr wichtig …«
Paige hörte nur mit einem Ohr zu, sie konnte es kaum
erwarten, zu den schlüpfrigen Aspekten zu gelangen, zu den Fragen, die die Zuschauer an ihre Stühle fesselten. Wright mochte ja äußerlich interessant sein – fast so hübsch wie sie und ganz der große Gelehrte, mit seinem Button-down-Hemd und dem blauen Blazer –, aber dieses Gerede von Unterstützung und Anteilnahme war nicht gerade das, was ihr vorgeschwebt hatte, als sie ihn persönlich gedrängt hatte, in der Show aufzutreten.
Das Gähnen des Publikums schwebte ihr förmlich vor Augen.
Und, noch schlimmer, sie konnte sich vorstellen, wie sich die Leute vom Sender langweilten. Als die Nachricht von Leslie Seweks Vergangenheit wie eine Bombe einschlug, hatten die Sender und Sensationsshows Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihre Leute nach Deer Lake zu treiben. Josh Kirkwoods Fall war maßgeschneidert für Fernsehnachrichten.
Und wenn Paige die Sache durchziehen könnte, so wie sie sich das vorstellte, würde sie das in größere und bessere Jobs hieven.
»Zweifellos«, dozierte Garrett Wright, »hilft es den Opfern damit fertig zu werden, aber es hilft auch uns anderen zu mehr Wachsamkeit.
Die Bürger möchten aktiv etwas gegen eine Sache
unternehmen, die letztendlich eine unbekannte Bedrohung für unsere ganze Gemeinde ist – ein Verbrechen.«
»Und jetzt zu der Tat«, unterbrach ihn Paige gewandt.
»Männer wie Leslie Sewek, die Kinderschänder werden, haben meist eine ziemlich ähnliche Vergangenheit, nicht wahr, Doktor?«
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»Ja, es scheint so. Erstens stammen die meisten Pädophilen aus Familien, in denen ebenfalls Mißbrauch betrieben wurde, und sie hegen starke, unerfüllte Bedürfnisse nach persönlicher Wärme.«
»Wollen Sie damit sagen, daß uns jemand wie Leslie Sewek leid tun sollte?« fragte Paige, perfekt entrüstet. Innerlich grinste sie, als die Menge hinter ihr wütend raunte.
Garrett Wright wehrte den Vorwurf mit einer Handbewegung ab.
»Ich stelle lediglich Tatsachen fest, Miss Price.
Kinderschänder stammen aus ähnlichen Verhältnissen, das ist natürlich keine Entschuldigung für Gesetzesübertretungen. Ich behaupte auch nicht, daß Leslie Sewek aus so einer Familie stammt. Darüber weiß ich nichts. Und wie Sie bereits sagten, wir wissen auch nicht, ob Leslie Sewek sich hier irgendwie schuldig gemacht hat. Wir können nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob der Mann, der Josh Kirkwood gekidnappt hat, ein Pädophile ist. Es könnte sich um eine völlig andere Art von Verstand handeln und offengesagt einen weit gefährlicheren, als den eines sogenannten durchschnittlichen Pädophilen«, führte er aus. Die Kamera zoomte auf sein besorgtes Gesicht.
Paiges innerliches Grinsen wurde noch breiter. »Wie zum Beispiel, Dr. Wright?«
Garrett Wrights Mißbilligung war deutlich greifbar. Er warf ihr einen eisigen Blick zu. »Sie spielen ein gefährliches Spiel, Miss Price. Ich bin nicht hergekommen, um das Spiel Nenn-mir-den-Psycho zu spielen.
Diese Art Spekulation meinerseits wäre völlig unangebracht, ganz zu schweigen von Sensationsmache …«
»So etwas dürfen Sie mir keinesfalls unterstellen«, flocht Paige hastig ein, das innerliche Grinsen erstarb. Verdammt …
»Vielleicht könnten Sie uns nur zum besseren Verständnis eines Pädophilen
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