Sünden der Nacht
alles dafür gegeben, alles was ich weiß, jedes Quentchen Willen und Entschlußkraft, um den Jungen zurückzubekommen und den Kopf des
Entführers auf eine Lanze zu spießen.
Jetzt wird mir wahrscheinlich diese Befriedigung versagt 438
bleiben, und die Ermittlung wird einen verdammt guten Cop verlieren, weil ich aus Dämlichkeit mein oberstes Prinzip gebrochen und mit einem Cop geschlafen habe.«
»Dämlich?« sagte er mit gefährlich ruhiger Stimme. »Das denkst du also über uns?«
»Was heißt hier uns? «fragte Megan bissig. Sie hätte gerne geglaubt, daß ihre Beziehung etwas Besonderes war, aber sie konnte es nicht beschwören. Sie wollte glauben, daß er ihr jetzt diese Chance bot, aber traute ihm nicht über den Weg. So schnell entstand Liebe nicht. Liebe existierte für sie überhaupt nicht. Diese Lektion hatte ihr das Leben vor langer Zeit erteilt.
»Es gibt kein uns«, fuhr sie fort. »Wir hatten Sex. Du hast mir nie irgendwelche Versprechungen gemacht. Bei Gott, du hast dir ja nicht mal die Mühe gemacht, deinen Ehering abzulegen, als du mit mir ins Bett gestiegen bist!«
Mitchs Blick fiel sofort auf seine linke Hand und den dicken Goldreifen, den er aus Gewohnheit trug. Er trug ihn, um sich zu bestrafen, um sich vor Frauen zu schützen, die vielleicht mehr wollten als ein kurzes Vergnügen. Und er funktionierte doch wie ein Talisman, oder etwa nicht?
Megan stand breitbeinig vor ihm, die Schultern
zurückgeworfen, bereit, einen Schlag aufzufangen – physisch oder bildlich. So hart nach außen, innerlich so allein. Sie hatte ihre Prioritäten laut und deutlich verkündet: der Job, der Job und dann wieder der Job. Aber da war immer noch Schmerz in ihren Augen und dahinter Stolz, der ihr Kinn vortrieb. Er hatte sie dazu überredet, ihre Regeln zu brechen, gemeinsam Sex zu haben, ihr nichts geboten, und jetzt würde sie den Preis bezahlen.
Und zu was macht dich das, Holt? König der Arschlöcher? Er atmete hörbar aus. »Megan, es tut mir …«
»Spar dir das.« Sie wollte das Wort nicht hören. Schlimm genug, es in seinem Gesicht geschrieben zu sehen. »Wir hätten 439
es beide besser wissen müssen.« Sie redete sich ein, es wäre nicht Mitch, der ihr weh tat, sondern die Ungerechtigkeit einer Doppelmoral, die sie bestraft, weil sie sich vorübergehend ein Privatleben gegönnt hatte.
»Du mußt dir natürlich keine Sorgen machen.« Sie zwang sich zu einem unfreundlichen Lächeln. »Jeder weiß, daß Jungs eben so sind. Und ich bin es gewohnt, mit einer Axt über meinem Kopf durch mein Berufsleben zu hechten. Also, hey, das ist nichts Neues.«
»Megan …«
Er streckte eine Hand aus und wollte ihre Wange berühren. Sie schlug sie beiseite.
»Verdammt, Mitch Holt, wage ja nicht, mich zu bemitleiden!«
Sie biß ihre Zähne zusammen. Sie hatte keine Waffe gegen Zärtlichkeit und wich vor ihm zurück. Ihr Mund war nur noch ein harter, kompromißloser Strich. »Ich bin ein großes Mädchen, kann auf mich selbst aufpassen. Verflucht, das mach ich schon mein ganzes Leben lang. Warum jetzt damit aufhören?«
Sie ging mit hocherhobenem Haupt an ihm vorbei und fragte sich, wie sie an ihren Mantel im Presseraum gelangte, ohne gesehen zu werden.
»Wohin gehst du?«
Megan blieb einen halben Meter von der Tür entfernt stehen, aber sie drehte sich nicht um. Sie brauchte keinen Mann in ihrem Leben, brauchte niemanden. Ein guter Cop sein – mehr hatte sie nie gewollt.
Den hohlen Klang, den diese Worte in ihr auslösten, ignorierte sie.
»Ich gehe arbeiten«, sagte sie. »Solange ich meine Stellung noch habe.«
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Kapitel 25
TAG 8
13 Uhr 42, -32 Grad, Windabkühlungsfaktor: -46 Grad Olie Swain hatte keine Verbündeten, auch keine Freunde. Er war, wie sie stets in den Abendnachrichten wiederholten, ein Eigenbrötler, der seine Arbeit machte und für sich blieb. Laut der Stempel auf den Innenseiten der Buchumschläge hatte er die meisten Bücher in der ›Leseratte‹, einem Secondhandbuchladen in der Nähe des Harris College, gekauft. Der Laden war leer bis auf einen Verkäufer, der perfekt als Liebesperlenverkäufer in einen Volkswagenbus mit psychedelischer Bemalung gepaßt hätte. Groß und mager wie eine Bohnenstange hatte er
obendrein seine rötlichbraunen Haare zu einem buschigen Pferdeschwanz zusammengebunden. Die traurige Darbietung eines Bartes erinnerte an die dünnen Haarzwirbeln, die Megan in regelmäßigen Abständen aus ihrer Bürste kämmte. Er trug ein Batik-T-Shirt und darüber
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