Sünden der Nacht
dämpfen. Sie nippte ihren Milchkaffee und knabberte gedankenverloren an ihren Keksen, während sie ihr Notizbuch anstarrte.
Sie mußte einen Faden finden, der die losen
Informationsfetzen miteinander verband, aber scheinbar gab es keinen, außer Theorien. Olie hatte allein operiert oder Olie hatte einen Komplizen. Wen? Er hatte keine Freunde. Olie hatte Computer mit Dateien, die keiner knacken konnte. Aber bei ihm stand ein Nadeldrucker, und die Notiz, die man in Joshs Tasche gefunden hatte, stammte von einem Laserdrucker.
Olie hatte Fotos von nackten Buben, aber sie waren mehrere Jahre alt, aus seinem Leben an einem anderen Ort.
Von jemandem, der so viel wußte, wußte sie sehr wenig.
Unwissenheit ist nicht Unschuld, sondern SÜNDE
Ich hatt ein bißchen Kummer, geboren aus ein bißchen SÜNDE
Blinde, nackte Ignoranz … blinde nackte Ignoranz …
Kopfspielchen. Mitch hatte gemeint, Olie wäre nicht der Typ für Kopfspielchen. Er hatte in seinem eigenen Blut gelegen, als der Anruf in Mitchs Haus eintraf.
Blinde, nackte Ignoranz
Das Zitat stand im Bartlett; es stammte aus Tennysons Idylls of the King: Blinde, nackte Ignoranz, verurteilt schreiend ohne Scham.
Wollte ihnen jemand auf diese Weise sagen, daß sie den falschen Mann hatten? Oder war es Olies Partner, der nicht ahnte, daß im selben Augenblick seines Telefonterrors sein 444
Kumpane sich die Pulsadern mit Scherben seines Porzellanauges aufschnitt? Die Theorien wirbelten durch ihren Kopf und ließen ihn schmerzen.
Und auf einer anderen Ebene beutelten sie die Ängste davor, was mit ihrer Karriere passieren würde, wenn jemand ihr Techtelmechtel mit Mitch an die große Glocke hängte.
Bestenfalls würde sie ihr Gesicht bei den Männern verlieren, mit denen sie arbeitete. Der schlimmste Fall rangierte zwischen dem Verlust ihres Außenpostens und einem schmählichen Ende als Wachmann, irgendwo in einem Einkaufszentrum. Nein, das schlimmste wäre, diesen Fall nicht abschließen zu können, entschied sie, als sie ihre Kopie des Fotos von Josh betrachtete.
Er lächelte sie an, so voller Leben und Begeisterung und großäugiger Unschuld. Sie hatte nur für eine Sekunde ihre Schilde heruntergelassen und sich gefragt, wie es ihm wohl ging, was er dachte, in welcher Panik er sein mußte …
vorausgesetzt, daß er noch am Leben war. Sie mußte daran glauben. Dieser Glaube hielt sie alle in Gang.
Und bei diesen Überlegungen war sie sich schmerzlich jeder verstreichenden Sekunde bewußt.
»Wir tun unser Bestes, Josh«, flüsterte sie. »Halte durch, kleiner Kämpfer.«
Sie steckte das Foto zurück in ihre Mappe und zwang sich, sich wieder auf ihre Notizen zu konzentrieren. Olie – Computer.
Olie – Gasthörer – Harris College. Lehrer?
Christopher Priest war Leiter der Fakultät. Vielleicht hatte er eine Ahnung, was Olie in seinen Geräten versteckt hatte.
Womöglich wüßte er, wie man an die Dateien rankäme.
Sie zahlte ihre Rechnung und stemmte sich wieder in die arktische Kälte hinaus. Ihre Aktenmappe und das Notizbuch preßte sie an sich, als brächten sie ein wenig Schutz vor dem Wind. Der Lumina sprang widerwillig an, und der Keilriemen jaulte den ganzen Weg bis zum Revier wie ein Klabautermann.
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Das einzig Gute an der Kälte war, daß sie die Presse davon abhielt, vor den Türen des Reviers herumzulungern. Nachdem man sie aus den Korridoren des Justizzentrums verbannt hatte, sammelten sie sich am Haupteingang des City Center oder saßen mit laufenden Motoren in ihren Wagen auf dem Parkplatz.
Megan stellte sich auf den für Agent L. Kozlowski auf der Rückseite des Gebäudes reservierten Platz und huschte zur Tür hinein, bevor einer der Geier seinen Ansitz verlassen konnte.
Ihre Telefonautomatik blinkte, als sie ihr Büro aufschloß. Der Anruf kam von Dave Larkin, nicht von DePalma. Sie hoffte, daß dieses Schweigen bedeutete, daß die Kacke von der
Pressekonferenz noch nicht bis ins Hauptquartier gedampft war.
Sie überlegte, ob es ratsam wäre, ihnen zuvorzukommen.
DePalma selbst anzurufen und ihm eine gesäuberte Version der Vorfälle zu liefern – sie und Mitch hatten über den Fall diskutiert und waren erschöpft von den vielen Überstunden vor dem Kamin eingeschlafen, dann war der Anruf gekommen …
Anrufe. Plural. Blinde, nackte Ignoranz. Die Stimme dröhnte durch ihren Kopf, als sie ihre Jacke aufhängte. Flüsternd. Leise.
Unheimlich.
Vor ihrem geistigen Auge sah sie Worte, die mit Blut auf die weiße Wand von
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