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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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ein offenes, zerknittertes
    Flanellhemd. Ausgebeulte Jeans klammerten sich halbwegs erfolgreich an seine hageren Hüften, gehalten von einem Stück Wäscheleine. Sein Name war Tood Childs, Psychologiestudent in Harris, der einen Teil seiner Freizeit im Freiwilligenzentrum verbracht hatte.
    Megan ließ ihren Blick durch den Laden streifen, während sie über den Fall plauderten. Der Laden war in einem alten Molkereigebäude untergebracht und bis unter die Dachsparren vollgestopft, eine Schatztruhe von veralteten Sachbüchern und Kleidern, ›dekorativen‹ Gegenständen, die zwischen schickem Kitsch und ungewolltem Plunder schwankten, Wimpel, Kappen 441
    und andere Souvenirs von Harris.
    Hinter dem Tresen stöhnte ein elektrischer Umwirbler, der ziemlich nach Brandrisiko aussah, bei seinen Bemühungen, die rauschende Heizung zu unterstützen.
    Todd klopfte sich mit dem Zeigefinger auf den dünnen
    Goldrand seiner Brille. »Beobachtung ist der Schlüssel zur Einsicht«, sagte er langsam. Er stützte seine knochigen Ellbogen auf den Tresen, beugte sich vor und starrte Megan direkt in die Augen. Seine Pupillen waren auf die Größe von Pfennigstücken erweitert, und Hanfschwaden hafteten in seiner Kleidung. »Zum Beispiel würde ich sagen, daß Sie sehr angespannt wirken.«
    »Gehört zum Fachgebiet«, sagte Megan.
    »Ja …« Er nickte in Zeitlupe. »Die Suche nach Gerechtigkeit in einer ungerechten Welt. Versuch den Damm mit Kaugummi zu flicken. Die meisten Cops sind total auf Kontrolle
    abgefahren, wissen Sie. Das soll keine Beleidigung sein, es ist nur eine Beobachtung.«
    »Und was haben Sie bei Olie beobachtet?«
    »Schräger Vogel. Er wollte nie mit jemandem reden. Ist reingekommen, hat Bücher gekauft, ist gegangen.« Todd
    richtete sich auf und inhalierte eine halbe Marlboro Light 100.
    »Wir waren ein paarmal im selben Computerraum«, sagte er durch eine Rauchwolke. »Mit den anderen Studenten hat er nie gesprochen. Niemals.«
    »Er hat tatsächlich Kurse in Harris belegt?«
    »Nur als Gasthörer. Ich glaube nicht, daß er genug Geld für die Studiengebühren gehabt hätte, aber war total auf Computer abgefahren, wissen Sie. Ich glaube, er fühlte sich mit Maschinen wohler als mit Menschen. Manche Leute sind so. Auf jeden Fall war er meiner Meinung nach ganz bestimmt nicht der Typ Mensch, der mit den Köpfen der Leute rumfickt. Sie wissen schon, mit dieser Nachricht und dem Anruf und dem ganzen Mist.« Er schüttelte den Kopf, inhalierte eine viertel Zigarette 442
    und blies den Rauch durch die Nase aus. »Ich jedenfalls glaub das nicht, außer er hatte eine Persönlichkeitsspaltung, was ziemlich unwahrscheinlich ist.«
    »Wahrscheinlich hat er irgendwo ein geheimes Leben
    geführt«, Megan zog ihre Fäustlinge an.
    Todd warf ihr einen verträumten Blick zu. »Tun wir das nicht alle? Macht das nicht jeder – Tarnwände um sein inneres Ich bauen?«
    »Wird wohl so sein«, gab sie zu und setzte ihre Ohrenschützer auf.
    »Aber die meisten von uns haben kein inneres Ich, das Kinder belästigt.« Sie klopfte auf die Visitenkarte, die sie auf den Tresen gelegt hatte. »Wenn Ihnen noch irgend etwas
    Bemerkenswertes einfällt, bitte rufen Sie mich an.«
    »Klar, geht in Ordnung.«
    »Oh, und Todd?« Sie sah ihn an und warf das Ende ihres Schals über ihre Schulter. »Rauchen Sie kein Dope bei der Arbeit. Man weiß nie, wann ein Cop hereinkommt.«
    Megan eilte von der ›Leseratte‹ nach nebenan in ein kleines, türkises Holzhaus, das man in ein Café namens Bohnenstroh umgebaut hatte.
    Die winzige Veranda stand voller schneeverkrusteter
    Fahrräder, die offensichtlich den Winter über hier abgestellt waren. Megan betrat das Lokal, setzte sich an einen winzigen, weißgedeckten Tisch in der Nähe des Eingangsfensters; sie bestellte Milchkaffee und Schokokekse bei einem Mädchen im Romantik-Look. Die wenigen anderen Kunden saßen hinten an einem alten Holztresen in dem Raum, der früher sicher das Eßzimmer gewesen war, lasen Zeitung oder plauderten leise.
    Ein alternativer Rocksender tönte aus dem Radio in der Ecke und füllte die Leere mit Shawn Colvins sparsamem,
    nostalgischem Text von ›Steady On‹.

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    Die Wände waren kalkweiß gestrichen und mit Schwarzweiß-
    Fotos in schlichten schwarzen Rahmen geschmückt. An den Fenstern gab es keine Vorhänge, so daß das kalte, grelle Sonnenlicht einen ungehindert blenden konnte. Megan ließ ihre Sonnenbrille auf, um Augenkontakt zu vermeiden und das Licht zu

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