Sünden der Nacht
Fragen?«
»Ist Albert Fletcher in der Nähe?«
Pater Tom zog seine Brauen zusammen, wiegte den Kopf und lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück. »Im Augenblick nicht.
Ich glaube, er macht sich im Pfarrhaus nützlich. Warum?«
Mitch setzte seine undurchschaubare Detektivmiene auf. »Ich muß mit ihm über ein paar Sachen reden.«
»Geht es um Josh?«
»Wie kommst du auf diese Frage?«
Pater Tom lachte, aber ohne eine Spur von Humor. »Ich
glaube, dieses kleine Gespräch hatten wir schon einmal. Josh nimmt bei Albert Ministranten- und Religionsunterricht. Wird er dadurch nicht automatisch zum Verdächtigen?«
Mitch ignorierte seinen etwas trotzigen Ton. »Fletcher hat an dem Abend, an dem Josh verschwand, unterrichtet. Warum?
Glaubst du, er könnte es getan haben?«
»Albert ist er frömmste Mann, den ich kenne«, sagte Tom.
»Ich bin überzeugt, er glaubt insgeheim, daß ich dem Untergang geweiht bin, weil ich das Pfarrhaus habe verkabeln lassen. Nein, Albert würde nie offen ein Gesetz brechen – egal, ob weltlich oder religiös.«
»Wie lange kennst du ihn schon?«
»Ungefähr drei Jahre.«
»Warst du schon während der Krankheit seiner Frau hier?«
»Nein. Sie ist, glaube ich, im Januar neunzehnhundert-
einneunzig gestorben. Ich bin im März hergekommen. Meiner Ansicht nach muß er ihr sehr nahegestanden haben, so wie er anschließend in der Kirche Trost suchte. So wie er in den Glauben eintauchte, mußte er eine große Leere zu füllen haben.«
Oder er war bereits in die Kirche verliebt gewesen und hatte Doris aus dem Weg haben wollen, damit er seiner Besessenheit ungestört frönen konnte. Diese Theorie behielt Mitch für sich.
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»Er hatte eine komische Art, seine eheliche Zuneigung zu zeigen«, sagte er. »Es ist wohl allgemein bekannt, daß er sie wegen ihrer Krankheit nicht behandeln lassen wollte. Er behauptete, sie durch seine Gebete heilen zu können, und war nicht sehr erfreut, als Hannah intervenierte.«
Pater Tom runzelte die Stirn. »Mitch, du willst doch noch nicht etwa andeuten …«
»Ich deute überhaupt nichts an«, sagte Mitch, stand auf und hob abwehrend die Hand. »Ich fische nur im trüben, mehr nicht.
Und ich werd noch oft die Angel auswerfen müssen, bevor ich etwas für die Pfanne erwische. Danke für deine Zeit, Pater.«
Er ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. »Würde Fletcher einen guten Priester abgeben?«
»Nein.« Pater Tom zögerte keine Sekunde. »Zu dem Job
gehört mehr, als die Bibel und die Kirchendogmen auswendig zu lernen.«
»Was fehlt ihm denn?«
Der Priester ließ sich das einen Augenblick durch den Kopf gehen »Mitgefühl«, sagte er leise.
Mitch war noch nie ein Fan von alten viktorianischen Häusern mit ihren schweren Holztäfelungen und höhlenartigen Räumen gewesen.
Das Pfarrhaus von St. Elysius bildete da keine Ausnahme. Es war groß genug, um das ganze Notre-Dame-Footballteam
unterzubringen, deren Foto auf einem Ehrenplatz im
Arbeitszimmer hing, gleich über dem teuflischen Videorecorder.
Er wanderte durch die Räume im ersten Stock, rief immer wieder Fletchers Namen, bekam aber keine Antwort. Der
Geruch von Kaffee und Toast schwebte in der Küche. Eine Schachtel mit Cornflakes stand auf dem Tisch, daneben eine halbleere Kaffeetasse, ein Souvenir aus Cheyenne, Wyoming.
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Die Star Tribune lag aufgeschlagen da, mit einer Geschichte über das Schicksal der Erdbebenopfer von Los Angeles und dem Wiederaufleben von Trickbetrügereien falscher Priester –
Gangster, die sich als Priester verkleideten und Bargeldspenden für die Obdachlosen sammelten.
»Mr. Fletcher?« rief Mitch.
Die Kellertür ging auf, und Albert Fletcher tauchte aus der Finsternis auf. Er war so mager und blaß, als wäre er da unten gefangengehalten worden. Sein schwarzes Hemd hing über Schultern, so dünn und kantig wie Drahtbügel. Ein schwarzer Rollkragenpullover umschloß seinen Raubvogelhals, wie ein umgekehrtes Abbild von Pater Toms Priesterkragen. Die
dunklen Augen, die Mitch fixierten, glühten fast fiebrig, aber undurchsichtig, verhüllten die Quelle ihres Glanzes. Er hatte ein längliches, ernstes Gesicht, die Haut spannte sich wie Pergament über ausgeprägten Knochen. Der Mund war ein kompromißloser Strich, unfähig zu lächeln. Mitch strengte sich an, den Anblick mit der Phantomzeichnung von Ruth Coopers Besucher zu
vergleichen.
Vielleicht. Mit einer Kapuze … mit Sonnenbrille?
»Mr. Fletcher?« Mitch reichte ihm seine Hand.
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