Sünden der Nacht
Er ist tot. Er ist tot.« »Houston!« rief Mitch und winkte einen seiner Beamten, die die Menge in Schach hielten, zu sich.
Der kräftige, bärtige Cop kam angeschlurft, der Schnee knirschte unter seinen schweren Polarstiefeln. Die Feuchtigkeit seines Atems hing weißgefroren in seinem dichten Barthaar. Was von seinem Gesicht zu sehen war, war rot von der Kälte und dem Wind.
»Du mußt Mr. Kirkwood nach Hause bringen«, ordnete Mitch an.
»Erklär Dr. Garrison, was passiert ist, und bleib bei ihnen, bis ich komme.«
»Da kannste drauf wetten.« Houston legte einen mächtigen Arm um Pauls Schultern. »Kommen Sie, Mr. Kirkwood. Wir gehn jetzt nach Hause. Es ist zu verdammt kalt, um hier rumzustehen.«
Bevor sie einen Schritt machen konnten, hatte Mitch Joshs Jacke gepackt und versuchte behutsam, sie Paul zu entwinden. »Kommen Sie, Paul«, sagte er ruhig. »Das ist jetzt Beweismaterial. Wir müssen sie ins Labor schicken.« Paul ließ widerwillig los, dann schwankte er mit den Händen vorm Gesicht mit Houston davon.
»Er leidet furchtbar«, sagte Pater Tom und klopfte sich den Schnee von seinem Parka.
»Wie steht’s mit Ihnen, Pater?« fragte Megan. »Alles in Ordnung?«
Seine Brille saß schief. Er rückte sie gerade und zog die Ohrenklappen seiner Jagdmütze runter. »So weit, so gut. Ich hätte es wissen müssen. Paul ist nicht gerade ein Fan von mir. Aber als Noogie nach St. Eylsius kam, um zu telefonieren und uns gesagt hat, was los ist, hielt ich es für meine Pflicht, hierzusein.«
»Uns?« sagte Mitch und wandte sich zur Kirche. Sie stand etwa eine Viertelmeile entfernt, in südöstlicher Richtung. Ihre Türme ragten über die kahlen Bäume hinaus.
»Albert und ich sind gerade die Kirchenbücher durchgegangen«, erklärte der Priester. »Sollten Sie wegen seiner Diskretion besorgt sein, ich glaube, da hat schon jemand anders die Katze aus dem Sack gelassen.«
Mitch sagte nichts. Er sah sich die Umgebung lange und prüfend an.
Die ›Bay‹ selbst war gefroren und voller Schneewehen, die sich bei
den skelettartigen Schilfdickichten aufgehäuft hatten. Eine winterweiße Wüste mit Dünen, die sich im eisigen Hauch des Windes verlagerten. Sicher war es in den wärmeren Monaten ein Paradies für Moskitos, trotzdem hatten Leute ihre Häuser an die Ufer gebaut. Bei dem halben Dutzend an der Nordwestseite der Bucht war alles vertreten, vom Chalet bis zum teuren Zedernhaus im Shakerstil, mit prächtigen Veranden, die gut nach Nantucket gepaßt hätten. Sie standen ein Stück vom Ufer entfernt, auf großzügig verteilten Grundstücken von drei bis fünf Morgen mit dichtem Baumbestand.
Hinter ihnen, im Westen, im Anschluß an das weite, offene Ackerland und kleine Haine schimmerte der Horizont milchig weiß vom dahertreibenden Schnee. Der Himmel strahlte in brillanten Farben, von Pink bis Orange, als die Sonne ihren Abstieg begann. Am südöstlichen Ufer sah man anstelle von Häusern nur ein weitläufiges Dickicht aus verkrüppelten Büschen und dünnen jungen Bäumen, die wie riesige Zahnstocher gen Himmel ragten. Albert Fletcher stand am Rande des Gestrüpps, eine hochgewachsene Gestalt in einem strengen schwarzen Mantel mit einer schwarzen Kapuze, die er eng um sein Gesicht gezurrt hatte.
»Seid ihr beide mit Noogie rübergefahren?« fragte Mitch.
»Ich ja.« Pater Tom zog die Brauen hoch, als auch er den Diakon entdeckte. »Albert muß allein nachgekommen sein. Ich dachte, er wollte nicht aus dem Haus. Er hat mir gesagt, er würde sich nicht gut fühlen, glaubte, da wär eine Erkältung im Anzug …«
»Offensichtlich geht es ihm wieder besser«, Megan zog den Kopf tiefer in ihren Schal, um dem bitterkalten Wind zu entgehen.
»Hmm … ich sollte mich besser auf den Weg machen«, sagte der Priester. »Paul wird sicher nicht erbaut sein, mich zu sehen, aber Hannah braucht wohl eine Schulter zum Ausweinen.«
Er trabte durch den Schnee davon und kletterte das Ufer hoch zu Albert Fletcher. Die beiden Männer machten sich zusammen auf den Weg.
Mitch wandte seine Aufmerksamkeit der kleinen Jacke zu, die er in der Hand hielt und dem Namen, der mit unlöslicher Wäschetinte in den Kragen geschrieben war. Er hielt sie Megan hin, und sie nahm sie mit einem Kloß im Hals. »Damit wären wohl alle Zweifel ausgeschlossen, nicht wahr?«
Steiger kam jetzt mit einer Frau, die einen großen, schwarzen Labrador an der Leine hielt. Der Hund tänzelte neben ihr her, ganz aus dem
Häuschen vor Aufregung. »Mitch,
Weitere Kostenlose Bücher