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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hoag
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hat. Die Jungs glauben, es könnte Josh Kirkwoods sein.«

Kapitel 26

TAG 8 15 Uhr 07, -32 Grad, Windabkühlungsfaktor: – 43 Grad
    Ryan’s Bay bezeichnete ziemlich großspurig etwas, das letztendlich nur ein großer nasser Fleck in einem Moorgebiet westlich von Dinkytown war, windgepeitscht und öde in den Klauen des Winters. Das Land wurde in den siebziger Jahren Deer Lake eingemeindet. Aber es gab keine städtische Abwasserbeseitigung oder Kommunalversorgung; deshalb betrachteten sich die Einwohner des Gebietes als unabhängig von der Stadt. Das erklärte auch, warum Ruth Cooper das Sheriffbüro angerufen hatte, als ihr Labrador mit einer Kinderjacke im Maul aus dem Kolbenschilf gestürmt kam. Steiger selbst stand am Ort des Geschehens, in einem Schaffellmantel mit aufgestelltem Kragen und einem großen Trapperhut aus Pelz auf seinem fettigen Kopf. Er stellte scheinbar die Hauptattraktion dar, bei dem, was bereits in einen Medienzirkus ausgeartet war.
    »Soviel zur Abschirmung des Tatorts«, murmelte Megan, als Mitch seinen Explorer neben dem Sendewagen von KSTP abstellte und damit dem Van die Ausfahrt blockierte.
    Reporter, Zivilisten, Deputys des Sheriffs und losgelassene Hunde zertrampelten den Schnee im ganzen Umkreis. Mitch schaltete den Motor aus und wollte sich gerade Paul auf dem Rücksitz zuwenden; aber Paul war bereits draußen und drängte auf das Zentrum des Sturms zu. Reporter drehten sich um und machten ihm Platz, Kameras schwangen in seine Richtung. Mitch sprang aus dem Truck und sprintete hinterher, in der vergeblichen Hoffnung, er könne die Szene verhindern, in die Paul sich jetzt stürzte.
    Steiger hielt den bunten Anorak hoch wie eine Trophäe. Paul warf sich mit einem erstickten Schrei auf den Sheriff, entriß ihm die Jacke
und stieß ihn weg, so daß Steiger rückwärts stolperte. Paul fiel auf die Knie in den niedergetrampelten Schnee. Er hatte den Anorak mit beiden Händen gepackt und begrub schluchzend sein Gesicht darin. »O mein Gott, Josh! Josh! O Gott! Nein!«
    Mitch schubste sich rücksichtslos durch die Reihen der Presse, die sich um Paul drängten, kochend vor Wut. Als er die Mitte des Kreises erreicht hatte, drehte er sich zu ihnen und schrie: »Verschwindet von hier!« Er schlug die Linse einer Videokamera, die gerade auf Paul zoomte, herunter. »Verflucht, habt Ihr denn überhaupt kein Mitgefühl? Verschwindet von hier!«
    Hinter sich hörte er das gräßliche Geräusch von Paul Kirkwoods Schluchzen. Es gab in der menschlichen Erfahrung nichts, was mit dem Kummer eines Vaters oder einer Mutter vergleichbar wäre. Es war die Zerstückelung einer lebenden Seele, so ungeheuer schmerzhaft, daß dafür jegliche Worte fehlten. Das war keine Sache, die die Leute bei den Sechs-Uhr-Nachrichten mit ansehen sollten.
    Pater McCoy kniete neben Paul, eine Hand auf seiner Schulter, den Kopf gebeugt, damit seine Worte des Trosts nicht vom schneidenden Wind fortgerissen werden konnten. Steiger stand zwei Meter von ihnen entfernt. Er sah mürrisch und etwas verloren aus. Emotionale Angelegenheiten überschritten seinen Horizont.
    Mitch sah den Sheriff mit einem verbitterten Grinsen an.
    »Danke, daß du mein Büro verständigt hast, Russ.« Russ schniefte und spuckte einen Batzen Schleim in den Schnee.
    »Geht zurück, Leute!« rief Megan und hielt ihre Marke hoch, während Noogie mit zwei anderen Beamten die Menge zurück zur Old Cedar Road trieb. »Sie befinden sich am mutmaßlichen Schauplatz eines Verbrechens! Wir müssen Sie bitten, zurückzutreten!«
    »Laßt mich in Ruhe!« schrie Paul plötzlich. Er schubste Pater Tom beiseite und rappelte sich auf. Der Priester fiel in den Schnee. »Ich will nichts von Ihnen! Verdammt, lassen Sie mich in Ruhe!«
    »He, Paul.« Mitch packte seinen Arm und steuerte ihn auf den Sumpf zu, weg von den wachsamen Augen der Presse. »Kommen Sie. Wir müssen uns einen Moment Zeit nehmen und darüber nachdenken, was das bedeutet.«
    »Er ist tot.« Paul versagte die Stimme, er hielt sich die Jacke vors Gesicht und starrte sie an, als wäre sein Sohn gerade daraus entwichen.
    »Er ist tot. Er ist tot …«
    Mitch schob den Anorak beiseite. »Das wissen wir nicht. Wir haben
seine Jacke, nicht ihn. Die Jacke wird auf jedem Plakat und jedem Bericht über Josh beschrieben. Der Kidnapper hätte schlau sein sollen, sie gleich am Anfang loszuwerden.«
    Paul befand sich jenseits aller Vernunft. Er fing wieder an zu weinen, ein leises unheimliches Wehklagen. »Er ist tot.

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