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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hoag
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dem Kugelschreiber in den Startlöchern.
    Sie saß Helen Black gegenüber an einem Tisch aus Nußholzimitat. Russ Steiger hatte den Plastikstuhl zu Megans Linker hergezogen und seine schweren Winterstiefel darauf plaziert. Schmelzender Schnee und Dreck sammelten sich in der Sitzschale. Mitch saß neben der Zeugin, den Blick ihr zugewandt. Er hatte ebenfalls einen Block und einen Stift dabei, aber sie lagen unberührt auf dem Tisch. Helen Black besaß seine ganze Aufmerksamkeit.
    Sie ruderte hilflos mit den Armen. »Das kann ich nicht genau sagen. Es muß vor sieben gewesen sein und später als die übliche Zeit, zu der die Jungs abgeholt werden, sonst hätte ich mir nichts dabei gedacht. Tatsächlich hab ich mir nichts dabei gedacht. Es ist mir nur aufgefallen, weil mir durch den Kopf ging: Da ist jemand genau so spät dran wie ich.«
    »Können Sie beschwören, daß es der Kirkwood-Junge war?« fragte Steiger. Sie blickte aufgeregt um sich, zog die Brauen zusammen, bis sich eine tiefe Furche in ihre Stirn grub. »Nein. Ich hab nicht so genau aufgepaßt. Ich weiß, daß er eine helle Pudelmütze aufhatte, und daß er als einziger Junge auf dem Gehsteig stand.« Tränen schossen ihr in die Augen. Sie umklammerte das zerfledderte Papiertaschentuch in ihrer Faust noch fester, machte aber keine Anstalten es zu benutzen. »Wenn ich gewußt hätte – wenn ich irgendeine Ahnung gehabt hätte – mein Gott, das arme Kind! Und Hannah – sie muß dem Wahnsinn nahe sein.«

    Sie drückte ihre Faust an den Mund, und immer noch flossen die Tränen. Mitch streckte die Hand aus und legte sie über ihre andere auf dem Tisch.
    »Helen, es war nicht Ihre Schuld …«
    »Wenn ich gewußt hätte … Wenn ich besser aufgepaßt hätte … wenn ich dann jemanden angerufen hätte …«
    Steiger kaute ungerührt auf einem Zahnstocher. Er warf Megan einen Blick zu, aber nur um in ihren Ausschnitt zu sehen. Sie starrte wütend zurück und widerstand dem Drang, ihre Bluse bis zum Hals zuzuknöpfen.
    »Wär nett gewesen, wenn wir das vor vierundzwanzig Stunden gehört hätten«, brummte Russ.
    »Es tut mir ja so leid!« rief Helen mit einem schuldbewußten Blick auf Mitch. »Ich hab einfach nicht geschaltet, bin nach Minneapolis gefahren, hab mir das Stück angesehen und bin über Nacht geblieben, weil ich einkaufen wollte. Den ganzen Tag war ich in der Mall of America und hab kein Wort über die Sache gehört bis heute abend hier zu Hause. Mein Gott, wenn ich es bloß gewußt hätte!«
    Sie ließ den Kopf auf ihre Hand fallen und schluchzte. Mitch warf dem Sheriff einen vernichtenden Blick zu. »Helen«, sagte er leise und tätschelte ihre Schulter. »Du hattest keinen Grund zu glauben, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist. Was kannst du uns über den Wagen sagen?«
    Sie schniefte und wischte ihre triefende Nase mit dem zerfetzten Taschentuch ab. »Es war ein Van. Mehr weiß ich nicht. Du kennst mich doch – ich kann den Anfang nicht vom Ende eines Autos unterscheiden.«
    »Also, war’s ein großer Van?« fragte Steiger ungeduldig. Er nahm seinen Fuß vom Stuhl und rannte hin und her wie ein Dobermann an einer zu kurzen Leine. »War es einer mit Holz, ein umgebauter? Was?« Helen schüttelte den Kopf.
    Megan verkniff es sich, dem Sheriff vorzuschlagen, doch das charakterlich Unmögliche zu versuchen, und Mitch und ihr die Vernehmung zu überlassen. Statt dessen konzentrierte sie sich auf die Zeugin. »Versuchen wir’s doch mal anders, Mrs. Black«, sagte sie ruhig.
    »Erinnern Sie sich daran, ob der Van hell oder dunkel lackiert war?«
    »Äh – er war hell. Beige oder hellgrau. Vielleicht war es ein schmutziges Weiß. Wissen Sie, die Beleuchtung um den Parkplatz herum ist so gelblich. Sie verfälscht die Farben.«

    »Gut«, sagte Megan und notierte Farbe: hell auf ihrem Notizblock.
    »Hatte er Fenster – wie die Minivans oder wie diese Shuttles?«
    »Nein. Keine großen Fenster. Vielleicht waren es die kleinen an der Hintertür, ich bin mir nicht sicher.«
    »Ist schon in Ordnung. Eine Menge Leute wissen nicht mal, ob ihr eigener Van hinten Fenster hat, ganz zu schweigen von der Machart und dem Modell des Nachbarn.«
    Helen gelang ein schiefes Lächeln. »Mein Ex war ein Autofreak«, beichtete sie mit einem Blick von Frau zu Frau. »Er konnte sich an den Tag erinnern, an dem sein Kilometerzähler in seinem Geländewagen auf 100 000 gesprungen ist. An unseren Hochzeitstag konnte er sich nicht erinnern, aber er wußte auf die Minute

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