Sünden der Nacht
vertreten. Sie müssen doch eine Meinung haben?«
»Sicher.« Sie kippte den Rest ihres Ciders hinunter, stellte die Tasse ab und lächelte ironisch. »Aber ich werde mich hüten, sie in der Öffentlichkeit zu äußern. Das ist noch ein Punkt, den Sie über Cops wissen sollten, Professor – wir sind ein mißtrauischer Haufen.«
Sie wand sich ihren Schal um den Hals. »Danke, daß Sie mir das hier
gezeigt haben. »Wenn Sie etwas brauchen, dann wenden Sie sich an Jims Geist nebenan. Danke für Ihre Zeit und Mühe – auch für die Ihrer Studenten.«
Priest wehrte ab. »Das ist das mindeste, was wir tun können.«
Megan sah sich witternd nach versprengten Reportern um, rutschte schnell hinter das Steuer des Lumina und erweckte den Motor mit einiger Mühe zum Leben. Mitch war unterwegs und versuchte die Wogen zu glätten, die im Kielwasser der Enthüllung der Botschaften schwappten. Die BCA-Agenten, die Megan zugeteilt waren, überprüften Hinweise auf Vans, die über die Hotline gekommen waren: Drecksarbeit. Draußen im Lyon State Park wurde die Bodensuche fortgesetzt, wo sie keine richtige Hilfe wäre, nur ein weiteres Paar Augen, ganz zu schweigen von der Presse dort auf ihren Fersen.
Damit blieb nur die Liste von Joshs Aktivitäten. Aktivitäten, die ihn in Kontakt mit zahllosen Erwachsenen aus der Gemeinde gebracht hatten, angefangen vom Pfadfinderverein bis zum Sommerfußballprogramm und seinem Dienst als Ministrant in St. Elysius. Als sie die Liste überflog, fragte sie sich, durch welche dieser ganz normalen Jungenbeschäftigungen Josh wohl die Aufmerksamkeit von jemandem erregt hatte, der ihm weh tun wollte. Alle kamen in Frage, so traurig das auch klang. Die Nachrichten waren voller Greueltaten an Kindern, die von Priestern, Trainern, Pfadfinderführern oder Lehrern mißbraucht wurde. Diese Berufe zogen zwar Leute an, die Kinder wirklich liebten, aber auch solche mit einer krankhaften Beziehung zu den Junioren. Es gab keine Methode, die Guten von den Bösen zu trennen. Pädophile sahen nur selten wie Monster aus – meist war das genaue Gegenteil der Fall.
Wem sollte man vertrauen? Sie erinnerte sich, wie man ihr beigebracht hatte, genau diesen Leuten zu vertrauen und zu gehorchen – ihren Lehrern, dem Priester, ›netten‹, ›guten‹ Leuten. Aber wie konnte heutzutage noch jemand diese Kriterien anwenden? Was sollte man dem Nachwuchs gegenwärtig beibringen? Scheinbar gab es keinen mehr, dem man wirklich vertrauen konnte. Nicht einmal mehr in Deer Lake, wo jeder jeden kannte und keiner nachts seine Tür abschloß. Unwissenheit ist nicht Schuld, sondern SÜNDE
Jemand, der die Gemeinde kennt, dachte sie. Oder jemand der schon auf halbem Weg nach Mexiko war und dem einfach die Vorstellung gefiel, aus der Entfernung ihre Köpfe zu bombardieren.
Ich hatt ein bißchen Kummer, geboren aus ein bißchen SÜNDE Sünde. Moral. Religion. Alles, von radikalen Fundamentalisten bis hin zu Satanskulten. Oder vielleicht ein katholischer Priester namens Tom McCoy …
11 Uhr 18, – 7 Grad
St. Elysius war die einzige Bastion Roms in einer Stadt, in der die Lutheraner reagierten. Als solche war es nur recht und billig, daß sich die Kirche in prachtvollem altem Stil präsentierte: eine Minikathedrale aus hiesigem Sandstein und Türmen, die gen Himmel ragten, mit Darstellungen der Agonie und des Triumphs Christi in den Bleiglasfenstern. Sie stand auf der Dinkytownseite der Stadt, schon fast draußen auf dem Land, als hätten die Norweger sich gedacht, daß die Baptisten am besten außer Sichtweite aufgehoben wären.
Megan stieg die Vordertreppe hoch, und Erinnerungen aus der Kindheit schossen ihr durch den Kopf, drehten ihr den Magen um und machten ihre Handflächen schweißnaß. Mick hatte an jedem nur möglichen Sport teilgenommen – nicht nur aus Liebe dazu, sondern auch, damit er sich nach der Schule nicht um seine kleine Schwester kümmern mußte. Und Megan hatte man der Obhut von Frances Clay überlassen, der freudlosen, unscheinbaren Frau, die die Kirche saubermachte. Sie hatte endlose Stunden auf harten, kalten Kirchenbänken in St. Pat’s verbracht, während Frances den Staubflusen auf den Statuen der Heiligen Mutter den Garaus machte.
Ein halbes dutzend ältlicher Witwen murmelte den Rosenkranz, als Megan das Kirchenschiff betrat, die Anführerin ratterte die Vaterunser herunter wie ein Auktionator. Das Innere der Kirche war genauso schön wie das Ä ußere, die Wände dunkelblau gestrichen und
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