Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Hoag
Vom Netzwerk:
Uhr zu blicken.
    Megan wandte sich vom Monitor ab und sah das provisorische Zentrum an. Der Raum verwandelte sich vor ihren Augen. Tische, Stühle und Büroausrüstung wurden durch Vorder- und Hintertüren hereingehievt, wodurch ein eisiger Windtunnel durchs ganze Gebäude zog. Die Freiwilligen nahmen ihre Plätze an den Tischen ein, türmten Handzettel, Umschläge, Hefter, Briefmarken und Schachteln mit Gummibändern auf jede verfügbare Fläche.
    Aus allen Lebenssparten, aus dem ganzen Staat rekrutierten sie sich – einige Männer, viele Frauen, um die dreißig, älter, im Collegealter. Sie hatten bereits die Fassade des Ladens mit gelben Vermißtenanzeigen beklebt und mit Postern, die Joshs Schulkameraden aus der dritten Klasse gezeichnet hatten: Sie baten Josh nach Hause zu kommen, als könnte ihn die Kraft ihres gemeinsamen Appells zurückbringen. Fast jeder Laden in der Stadt wies dieselbe Schaufensterdekoration auf. »Wir könnten auch mit dem National Center for Missing and Exploited Children, Minnesota, kommunizieren«, fuhr der Professor fort. Er trug einen schwarzen Daunenparka, der ihn zu verschlucken drohte, über seine Ohren hochkroch; Priest rammte die Hände in die Taschen und zog ihn energisch runter. »Wie könnten uns in eine Reihe stellen und Stiftungen für vermißte Kinder im ganzen Land einklinken. Es ist erstaunlich, wie viele es da gibt. Tragisch, sollte ich eher sagen. Scheinbar wird für jedes Kind, das im Land verschwindet, gleich so eine Stiftung in seinem Namen gegründet.«
    »Hoffen wir, daß es zu keiner Josh-Kirkwood-Stiftung kommt«, knirschte Megan.
    »Ja, hoffen wir’s.« Er seufzte, trennte sich mit einiger Mühe von dem Bild auf seinem Monitor und blinzelte sie durch seine übergroße Brille an. »Kann ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten, Agent O’Malley? Heißen Cider, heißen Tee? Es besteht kein Mangel an freiwilligen
    Nahrungsmittellieferanten.«
    »Cider wäre wunderbar, danke.«
    Sie folgte ihm zu einem langen Tisch im hinteren Teil des Raums, wo alle nährenden Spenden aufgestellt waren, und nahm dankbar eine
Tasse mit dampfendem, gewürztem Cider entgegen. Die Hitze strahlte durch die Tasse und ihre Handschuhe bis zu ihren Fingern, die vor Kälte ganz brüchig waren. Sie sah sich in dem Raum um, der vor Freiwilligen überquoll, Menschen, die ihre Zeit, ihre Talente, ihre Herzen und ihr Geld gaben für Josh. Ein Konto für die Belohnung war bereits eingerichtet worden, und Spenden flossen aus dem ganzen Upper Midwest ein, von Einzelpersonen, von Bürgergruppen, Geschäften. Bei der letzten Zählung waren es bereits über 50 000 Dollar gewesen. Ein Tisch Freiwilliger verbrachte die Zeit damit, die neueste Belohnung auf Stapel von Handzetteln zu drucken. Ein weiterer Tisch adressierte und tütete Umschläge ein, der nächste sortierte die Pakete nach Postleitzahlen und füllte sie in Säcke fürs Postamt. Die Handzettel gingen an Polizeibehörden, Bürgerorganisationen, Geschäfte und Schulen, wo man sie verteilen und in Fenster, auf schwarze Bretter und an Lichtmasten kleben, unter jede Windschutzscheibe quer durchs Land stecken würde.
    Megan wußte nur allzugut, daß all ihre Bemühungen möglicherweise nichts fruchteten, daß Joshs Schicksal, gleichgültig wie viele Menschen halfen, hofften und beteten, letztendlich in der Hand eines Wahnsinnigen lag, und daß ein Spaziergang durch ein Labyrinth mit Augenblende im Vergleich zur Suche nach Josh ein Kinderspiel war. Trotzdem richtete es einen auf, daß Leute Anteil nahmen.
    »Wenn ich sehe, wie eine Gemeinschaft so zusammenhält, könnte ich fast meinen Glauben an die Menschheit wiederfinden«, bemerkte sie. Priest sah sich die Menge an, wobei er längst nicht so begeistert aussah wie vorhin, als er den Computer erklärte. »Deer Lake ist eine nette Stadt voller netter Leute. Jeder kennt und liebt Hannah. Sie gibt dem Ort soviel.«
    »Und wie steht’s mit Paul? Kennt und liebt ihn auch jeder?«
    Er hob die Schultern. »Jeder muß mal zum Doktor, aber zum Steuerberater müssen nicht so viele Leute. Paul ist weniger sichtbar. Aber die meisten von uns schnitten wohl neben Hannah nicht so gut ab.« Jetzt war Paul der sichtbarere von beiden, dachte Megan und dabei entging ihr die leichte Röte, die dem Professor bis zu den Haarwurzeln schoß, als er Hannahs Namen erwähnte. Paul schob sein Gesicht vor die Kamera, wann immer sich Gelegenheit dazu bot, während Hannah zu Hausarrest verurteilt war.
    »Ich glaube, daß die

Weitere Kostenlose Bücher