Sünden der Nacht
bestimmt, und führte sie dahin, wo er hergekommen war, den Kopf zu ihr gebeugt. »Albert ist sehr fromm«, flüsterte er. »Um ehrlich zu sein, er wird Ihnen mit Feuereifer erzählen, daß er für meinen Job besser qualifiziert ist als ich.«
»Ich glaube, er würde mir alles mit Feuereifer erzählen«, beichtete Megan. »Soeben wollte er mich mit Weihwasser übergießen, um zu sehen, ob ich brenne.«
McCoy dirigierte sie zu einem Stuhl und schloß die Tür seines Büros. »In einer anderen Zeit hätte man Albert Fletcher wahrscheinlich als Zeloten bezeichnet. In den Neunzigern, wo Kirchenpersonal Mangelware ist, bezeichnen wir ihn als Diakon.«
»Ist er da oben ganz richtig?« Sie tippte sich an die Stirn.
»Er hat einen Universitätsabschluß vom Northwestern. Ein sehr intelligenter Mann, unser Albert.« Pater Tom ließ sich in den Stuhl mit der hohen Lehne hinter seinem Schreibtisch fallen und drehte ihn hin und her. »Im Hinblick auf die Gemeinde ist er nicht gerade ein Partylöwe. Er hat vor drei Jahren seine Frau verloren, zusätzlich ein mysteriöses Magenleiden, das nie richtig diagnostiziert werden konnte. Nachdem sie gestorben war, hat er sich immer mehr der Kirche gewidmet.«
»Besessen von ihr klänge wohl richtiger?«
McCoy sah sie an und hob die Schultern. »Wo soll man die Grenze zwischen Frömmigkeit und Besessenheit ziehen? Albert funktioniert beispielhaft, hält Haus und Hof makellos in Ordnung, gehört Bürgergruppen an. Er hat sein Leben und verbringt freiwillig einen Großteil davon hier.«
Der Pater schob seinen Gameboy beiseite und warf ihr einen verlegenen Blick zu. »Das hier hält mich bei Verstand, wenn die Last der Welt ein bißchen zu schwer wird.« Das Lächeln verblaßte. »Meine Therapie hat sich die letzten Tage leider nicht ausreichend bewährt.« »Josh Kirkwood.«
Der Priester schüttelte den Kopf. »Mir bricht jedesmal, wenn ich dran denke, das Herz. Wer weiß, was er durchmachen muß. Und Hannah … Das bringt sie um. Sie zerfleischt sich damit, nach irgendeiner logischen Erklärung zu suchen; aber man kann solche Geschehnisse nicht begreifen.«
»Ich dachte, Sie hätten Antworten darauf.«
»Ich? Nein. Die Absichten des Herrn sind rätselhaft, und er hat mich nicht in seine Motive eingeweiht. Ich bin nur ein Hirte. Meine Aufgabe ist es, die Herde zusammenzuhalten und sie auf die richtigen Wege zu lenken.«
»Jemand ist allerdings vom richtigen Weg abgekommen.«
»Und Sie glauben, daß dieser Jemand von St. Elysius ist?«
»Nicht unbedingt. Ich rede mit allen, die regelmäßig Kontakt mit Josh hatten, suche nach irgendeinem Fetzen Information, der helfen könnte. Etwas, das Josh vielleicht gesagt hat, eine Veränderung seines Benehmens; von Hannah erfuhr ich, daß er gerade mit seiner Ausbildung zum Ministranten begonnen hatte.«
McCoys blaue Augen waren traurig und resigniert. »Der Ministrant und der Priester. Geht es darum, Agent O’Malley?« Er schüttelte langsam den Kopf. »Es erstaunt mich immer wieder, wenn ein Opfer
von Klischees den Spieß umdreht und jemand anderem dasselbe antut.«
»Ich mache nur meine Arbeit, Pater«, entgegnete Megan ruhig. »Es steht mir nicht zu, Schlüsse zu ziehen – aber es steht mir zu, den Hinweisen, die ich habe, auf den Grund zu gehen. Tut mir leid, wenn Sie sich dadurch diskriminiert fühlen, aber so läuft das eben. Wenn Sie das tröstet: Ich werde auch mit Joshs Lehrern und Trainern und Pfadfinderführern reden. Sie sind kein Verdächtiger.«
»Bin ich nicht? Ich wette, ich könnte eine Menge Leute in dieser Stadt finden, die bereits zu einem anderen Schluß gekommen sind.« Er erhob sich von seinem Stuhl und lief hinter seinem Schreibtisch auf und ab, die Hände in den Hosentaschen. »Ich kann’s Ihnen wohl nicht verdenken, schließlich sind die Zeitungen voll davon, nicht wahr? Dieser Priester, jener Priester, ein Kardinal. Eine Schande ist das. Und die Kirche deckt sie und tut so, als wäre nichts, führt die wunderbare Tradition von Heimlichtuerei seit der Zeit des Heiligen Petrus weiter.«
»Dürfen Sie so etwas überhaupt sagen?« Megan staunte über soviel Offenheit.
Er grinste spitzbübisch. »Ich bin eine Radikalo. Fragen Sie Albert Fletcher. Er hat schon mit dem Bischof über mich diskutiert.«
Scheinbar machte es ihm diebische Freude, Gegenstand von Kontroversen zu sein. Megan verzog die Mundwinkel. Sie mochte Tom McCoy. Er war jung, voller Energie und hatte keine Angst zu sagen, was er dachte – das
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