Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
dachte Merrily, wachte der alte Feudalismus wieder auf. James Bull-Davies war inzwischen viel zu verarmt, um ein großartiges Gutsherrenleben zu führen, doch die Tradition steckte in ihm, und sie war froh, dass er das Kommando übernahm.
«Panik wäre verfrüht, es kann sein, dass es nicht mehr viel weiter ansteigt.»
James, in seiner löchrigen, abgewetzten Barbourjacke, redete auf dem Marktplatz mit ein paar herumziehenden Glühweintrinkern, die Merrily nicht kannte.
«Bis jetzt ist nur das Gemeindehaus in Gefahr.» Er sah sich um. «Wo ist dieser verdammte Pierce? Der soll seinen Arsch hochkriegen und den Gemeinderat zusammenrufen. Sie sollen zusehen, dass wir Hilfe bekommen.»
«Keine Chance.» Gomer Parry zog an seiner Selbstgedrehten, die er in der hohlen Hand vor dem Regen schützte. «Pierce pfeift doch drauf, obs Gemeindehaus absäuft. Will doch ein neues, mit albernen
Squash-Courts
. Gehört zu seim Masterplan. Das alte Gemeindehaus wird abgerissn, Bauplatz anne Supermarktkette verhökert, Pierce stopft sich die Taschen voll. Das weißt du doch selber, Junge.»
«Mag sein, dass Sie recht haben, Gomer, aber jetzt ist kaum der Moment für politische Auseinandersetzungen.» James nickte zu Gwyneth hinüber. «Funktioniert das Ding?»
«Pass auf, wasde sagst, Junge», sagte Gomer.
Merrily lächelte, zog den Saum ihres Capes aus einer Pfütze, und trat unter das Dach der Markthalle.
«Und was kann ich tun, James? Wie viele Leute brauchen Sie bei dem Gemeindehaus?»
«Außer Sandsäcke stapeln kann man dort nichts machen. Wenn sie nicht halten und das Wasser reinläuft … na ja, dann läuft es eben rein. Wenigstens wohnt dort niemand. Sie können im Moment eigentlich gar nichts tun, Frau Pfarrer. Ich gehe mit ein paar Leuten zum Fluss. Wir sehen nach, ob es eine Stelle gibt, an der es sich lohnt, einen Damm anzulegen. Und dafür verlassen wir uns dann auf die Erfahrung unseres Freundes Parry.»
«Sagen Sie mir einfach Bescheid, wenn ich irgendwo helfen kann.»
«Mache ich.»
Sie musste Vorbereitungen treffen. Falls jemand sein Haus verlassen musste, konnte sie die Gästezimmer im Pfarrhaus zur Verfügung stellen, nur ein paar Betten müsste sie irgendwo besorgen.
Und
sie musste nach Knights Frome, um die Boswell abzuholen. Es ohne Boot über Land schaffen.
«Mrs. Watkins?»
«Oh.»
Überrascht drehte sie sich um. Hinter ihr stand eine Frau. Üppiges rotes Haar, türkisfarbene Gore-Tex-Jacke, Metallkoffer.
Oh nein, nicht ausgerechnet jetzt.
«Ich bin Leonora Winterson.»
«Oh … ja.»
«Ich glaube, meinem Mann sind Sie schon begegnet, oder?»
«Ja.»
«Also», Mrs. Winterson sah die Church Street hinunter. «Das sieht ein bisschen kritisch aus, oder?»
«Nun ja, wirklich
kritisch
ist es eigentlich noch nicht.»
«Es gibt nirgends mehr Sicherheit, Mrs. Watkins. Nicht einmal in einem Dorf wie diesem. Alle Welt zieht auf der Suche nach dem guten alten England hierher, und dieses England wird vor ihren Augen weggeschwemmt. Bald ist es hier so unsicher wie in Bangladesch, und wir müssen uns schnappen, was wir können, solange es noch geht. Und ich glaube …», Stookes Frau strich sich das Haar aus dem blassen Gesicht, «… ich muss mir
Sie
schnappen.»
«Mich?»
Mrs. Winterson schob den Tragegurt ihres Fotokoffers höher auf die Schulter und blickte auf das Kopfsteinpflaster, das an glatte braune Steine in einem Bachbett erinnerte.
«Können wir irgendwo unter vier Augen reden?»
«Na ja, ich muss erreichbar sein, falls irgendetwas ist.»
«Ja, natürlich.»
«Wie wäre es mit der Kirche?», sagte Merrily.
Mrs. Winterson hätte beinahe laut aufgelacht.
«Ja», sagte sie. «Warum nicht?»
37 Herr des Unglaubens
Die gemeißelte Grabfigur, die auf dem Sarkophag ruhte, trug die hochgeschlossene Jacke eines Puritaners und hatte ein blankes Schwert neben sich liegen. Und diese Besonderheit, die jedem Touristen aufzufallen schien.
«Wer ist das?», fragte Mrs. Winterson. «Und warum sind seine Augen offen? Das ist nicht … normal, oder?»
Ihre eigenen Augen waren graugrün, und ihr Blick jagte nervös umher. Merrily betrat die Kapelle.
«Sein Name ist Thomas Bull. Er war einer der Gutsherren, die gelegentlich ihre Schatulle öffnen mussten, um diese Kirche vor dem Einsturz zu bewahren. Haben Sie gerade auf dem Marktplatz gesehen, wer die Leute eingeteilt hat? Das ist einer seiner Nachfahren.»
«Oh, der den Chef gespielt hat. James?»
«Ist viel ärmer als sein Vorfahr. Aber
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