Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)

als Jane versucht hatte, mit ihr zu reden, hatte Lucy einfach durch sie hindurchgesehen, als wäre Jane gar nicht da. Und genau in diesem schrecklichen Moment der Nichtexistenz war sie aufgewacht.
    «Es ist, als wäre ein Krieg erklärt worden.»
    Eirion deutete auf den Marktplatz, wo sich an der Markthalle Leute sammelten. Merrily war auch dabei.
    «Sie sind gerade aus der Kirche gekommen, das ist alles», sagte Jane.
    Vom Marktplatz drangen keine Stimmen zu ihnen herüber. Eirion hatte recht. So musste es bei einer Kriegserklärung gewesen sein. Alle hatten es geahnt, und nun war es geschehen.
    «Tja», Eirion sah zum Himmel auf. «Das wird Blores Grabung abkürzen.»
    «Vermutlich spannt er gerade ein Riesenzelt über der ganzen Weide auf.»
    «Willst du nachsehen?»
    «Nein!»
    «Würde gerade gut passen», sagte Eirion. «Hier können wir sowieso nichts tun.»
    «Ich gehöre dort nicht mehr hin. Das ist jetzt Blores Gebiet.»
    «Das denkst du nicht im Ernst. Nicht in einer Million Jahren.»
    «Ist doch egal, was ich denke. Ich zähle nicht mehr. Die verdammten Bullen haben meine Datenbank. Blore hat mein … meine Zukunft. Zerquetscht in seiner Riesenpranke.»
    «Oh Jane, jetzt komm schon, lass dich nicht …»
    «Nicht was?»
    Eirion schob die Kapuze seiner gelben Regenjacke zurück und packte Jane an den Oberarmen.
    «Davon fertigmachen. Vergiss es. Das hat Lol auch gesagt. Du … regst dich zu sehr darüber auf.»
    «Wow, echt», sagte Jane.
    «Als wir im Sommer diese Fotos gemacht haben, warst du so … strahlend. Ich war …», er ließ Janes Arme los. «Ich hätte am liebsten das Studium verschoben und mir einen Job als Hilfsgärtner oder so gesucht, nur um dich weiter so sehen zu können.»
    Er trat einen Schritt zurück. Jetzt war er verlegen. Jane sah ihm ins Gesicht, in dem sich erwachsene Ängste zeigten und Dinge, von denen er vermutlich nicht wusste, ob er mit ihnen umgehen konnte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, war erschüttert von Eirions starken Gefühlen und aufgewühlt wie der Flussmann, mit dem sie eine Beziehung simuliert hatte.
    Wahrscheinlich war es ein Glück, dass gerade Gwyneth, wie Gomer seinen Bagger liebevoll nannte, bei ihnen ankam, die Schaufel hoch an die gelbe Brust gezogen. Gomer beugte sich aus der Fahrerkabine.
    «Ich fahr sie lieber auf den Marktplatz, Janey. Soll besser erhöht stehn.»
    «Ihr Bungalow ist doch nicht überschwemmt, oder?»
    «Nein, aber mit meim alten Mädchen mach ich lieber keine Experimente.» Er strahlte Eirion an. «Wie geht’s, Junge?»
    «Gut, danke. Und
Sie
sehen …»
    «Braver Junge!»
    Gomer hob die Hand, und Gwyneth dröhnte weiter auf den Marktplatz.
    Eirion schüttelte erstaunt den Kopf.
    «Er sieht richtig energiegeladen aus.»
    «Das ist er auch», sagte Jane. «Manche Leute behaupten immer, er wäre zu alt für seine Arbeit, aber jetzt halten sie bestimmt die Klappe, weil sein Bagger ungefähr das einzige Fahrzeug ist, mit dem man durch die Überschwemmung kommt. Er ist schwer genug, und das Auspuffrohr ist nach oben gerichtet.»
    Jane sah Gomer nach, wie er langsam über den Marktplatz fuhr und anhielt, und dann sprang Gomer aus dem Führerhaus herunter, als wäre er dreißig Jahre jünger.
    «Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist bestimmt gut für ihn.»
    «Glaubst du denn, Coleman’s Meadow braucht
dich
nicht mehr, Jane?»
    «Es ist eine Weide. Sonst nichts.»
    «Komm schon. Bitte.»
    «Warum? Was soll das bringen?»
    «Es ist wie bei einem Piloten, der nach einer Bruchlandung wieder in ein Cockpit steigt.»
    «Ich habe nie in dem verdammten Cockpit gesessen.»
    «Doch. Du hast die Steine entdeckt. Die ganze Konstellation. Etwas hat dich dorthin geführt.»
    «Das ist doch bloß New-Age-Bullshit, Irene. Es war reiner Zufall. Das glaubst du doch selber auch.»
    «Ich kenne mich bei diesem Thema nicht gut genug aus, um zu wissen, ob es so oder anders war, aber ich glaube … na ja, an dich, eben. Die Jane, die sich so für diese Sachen begeistert … Hör mal, wir können ja erst nur ein Stück in die Richtung gehen, und dann gehe ich allein weiter und sehe erst mal nach, was los ist, okay? Und wenn der Scheißkerl dort ist, komme ich zurück, und wir vergessen es.»
    «Irene, ich will nicht …»
    «Doch, willst du, Jane.»
    Mit den Regentropfen im Gesicht sah er aus, als würde er weinen. Man erkannte irgendwie noch einmal den alten Eirion ihn ihm wieder.
    «Und Lucy Devenish ist tot», sagte er.

    In Situationen wie diesen,