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Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)

Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)

Titel: Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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verleihen.
    «Obwohl sie mir nicht einmal bis zum Kopf reichen, haben wir es mit einem bedeutenden prähistorischen Zeugnis zu tun. War es also ein
heidnisches
Zeugnis, das vergraben wurde, weil es als antichristlich betrachtet wurde? Oder einfach weil sie auf einem schönen, flachen Feld standen und jemanden beim Pflügen störten? Also, sprechen wir zunächst über den Begriff
heidnisch
. Was verstehen wir unter
heidnisch
?
    Merrily ließ ihren Blick über die Gemeinde schweifen. Keine sichtbare Reaktion. Shirley West sah sie nicht mehr an. Shirley hatte die Schultern nach vorne gezogen und den Kopf gesenkt. Sie saß so unbeweglich da wie ein Obelisk.
    «Aus dem Lexikon erfahren wir – das habe ich sicherheitshalber heute Morgen nachgeschlagen –, dass das Wort eine weit zurückreichende Tradition hat, die möglicherweise mit dem lateinischen
paganus
oder einem griechischen Lehnwort in Verbindung steht. Inhaltlich scheint sich Heide oder Heidentum mit
paganus
zu überschneiden, was Landbewohner oder Bauer bedeutete. Also ganz
gewöhnliche Leute
. Wie die Menschen, die hier, in dieser Region, in den Zeiten vor Jesus gelebt haben. In der vorchristlichen Zeit. Und was bedeutet das nun für diese Menschen? Es bedeutet, dass sie nicht das Glück hatten, von Jesus Christus zu erfahren, der die Menschheit mit einer neuen Dimension der Liebe bekannt gemacht hat, der ihr ein neues Verständnis dessen gebracht hat, was Liebe bedeuten kann. Das waren ziemlich komplexe Gedankengänge, und vielleicht waren die vorchristlichen Gesellschaften dafür noch nicht reif.» Merrily stellte sich auf ihrem Hocker auf die Zehenspitzen und beugte sich über die Brüstung der Kanzel.
    «Aber heißt das, dass diese Menschen
schlecht
waren und in Dunkelheit und Sünde lebten? Das glaube ich nicht. Diese Steine haben nämlich einst dort gestanden, wo sie die ersten Strahlen der Mittsommersonne auffingen, wenn sie über dem Cole Hill aufging. Diese Menschen hatten keiner Lehre und keinen Befehlen zu folgen. Nur ihren Gefühlen. Und ihre Gefühle haben ihnen gesagt, dass sie nach dem Licht streben sollen. Und das ist für mich völlig ausreichend.»
    Merrily sah zu dem Glasfenster hinüber. Eva mit dem Apfel wirkte trüb und bräunlich, kein Licht brachte das Bild zum Strahlen. Verdammter Regen.
    «Ich glaube nicht, dass man sich über die Heiden Sorgen machen muss, weder über die aus der Vergangenheit noch über die aus der Gegenwart. Denn sie repräsentieren spirituelles Denken. Die Menschen aus der Bronzezeit glaubten an höhere Mächte, auf die sie reagierten. Es waren diese Menschen, die als Ursprung unserer Gemeinde gelten können, sie haben sie gegründet, sie haben den ersten Obstgarten angelegt … sie haben geschaffen, was Lucy Devenish mit einem Wort von Thomas Traherne gern das Gestirn nannte.»
    Merrily sah zu den Apfelformen hinunter, die in den filigranen Lettner geschnitzt waren.
    «Und was meinte Lucy damit? Ich glaube, sie meinte die Vorstellung von Ledwardine als lebendem Organismus, der von einer Energie und Intelligenz am Leben gehalten wurde, die unsere übersteigt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich neige dazu, das
Gott
zu nennen.»
    Am Ende des Mittelgangs hob sich mit einem Quietschen der Riegel des Hauptportals, und zusammen mit einem Schwall Regen kam Gomer Parry in seinem alten, völlig durchnässten Gabardine-Regenmantel herein, den er in der Taille mit einer Schnur zusammengebunden hatte. Gomer zog die Tür hinter sich zu, nahm seine Kappe ab und tropfte die Grabplatte zu seinen Füßen voll.
    «Eins weiß ich genau», sagte Merrily, «und zwar dass diese Kirche zum Zentrum des Gestirns von Ledwardine wurde und es seitdem geblieben ist. Also würde ich sagen: Tun wir es. Richten wir die Steine auf, weil sie uns von der Morgendämmerung der Spiritualität in Ledwardine erzählen – von diesem ersten Streben nach dem Licht. Ich glaube, das kann uns nur stärker machen.»
    Sie schaute auf ihren Predigtblock, den sie kein einziges Mal konsultiert hatte. Sie sah Shirley West aufstehen, grau und schweigend.
    «Singen wir nun zusammen Nummer 14 in Ihrem Gesangbuch. ‹Mitten im kalten Winter›.»
    «Sie sind widerwärtig.»
    Shirley deutete mit bebendem Zeigefinger auf Merrily, dann drehte sie sich um, hastete den Mittelgang hinunter, schob Gomer weg, um an die Tür zu kommen, und Edna Huws griff in die Tasten des Harmoniums.
    Gomer schob sich den Mittelgang herauf, während Merrily von der Kanzel

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