Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
tuckernden, pulsierenden Rhythmus zusammensetzte, sodass man sich vorkam, als wäre man zu Fuß auf einer Ley-Linie unterwegs, und gegen Ende des Songs beschleunigte sich der Takt, und Jane war sicher, dass das die Ankunft auf dem Cole Hill zur Mittsommerzeit bedeutete.
Ob irgendeiner von den Schwachköpfen, die im
Black Swan
dinierten, davon irgendetwas begreifen würde, war allerdings die Frage, und einen Moment lang hörte Jane beinahe, wie die Musik in dem Gelächter und Geschwafel unterging.
Und dann wurde ihr klar, dass sie tatsächlich Stimmen hörte. Laute Stimmen. Vor dem Fenster.
Lol stand auf, drehte die Musik leiser, ging zum Fenster und wischte über die beschlagene Scheibe.
«Anscheinend ist irgendwas passiert.»
Merrily hatte die Strecke über Bromyard genommen, weil sie ihr sicherer erschien, aber sicher war bei diesem Regen keine einzige Straße. An mehreren Abzweigungen zu Nebenstraßen standen Schilder.
HOCHWASSER
STRASSE GESPERRT
Sie ließ den Scheibenwischer schneller laufen und fuhr so vorsichtig wie ein Führerscheinneuling. Im Radio wurde gemeldet, dass jetzt auch der Belmont-Kreisverkehr bei Hereford gesperrt war.
Das war nicht gut. So langsam wurde Hereford zu einer Insel.
Im Radio beschwerte sich ein Anrufer darüber, dass nicht schon vorsorglich Maßnahmen ergriffen worden waren, wo doch klar gewesen war, dass der Fluss eines Tages über die Ufer treten würde.
Merrily schaltete das Radio aus und fuhr den ganzen Weg bis Leominster mit zwanzig Stundenkilometern hinter einem silbernen Containerlaster her. Im Stadtzentrum war nichts los, es herrschte kaum Verkehr. Sie fuhr den Hügel hinauf zu dem Kreisverkehr hinter Morrisons Supermarkt und glaubte, Frannie Bliss’ gelben Honda Civic am Straßenrand stehen zu sehen, aber das konnte ja gar nicht sein.
Dann war sie wieder aus der Stadt heraus. Nur noch zehn Minuten bis nach Hause, jedenfalls unter normalen Umständen. Das Wasser lief von den Feldern auf die tiefer liegende Straße, und der Regen traf im Licht der Schweinwerfer auf den Asphalt, wie Tausende silberner Nadeln.
Auf dem Beifahrersitz klingelte das Handy.
Merrily fuhr an den Straßenrand, ließ den Motor laufen und sah den silbernen Containerlaster hinter dunklen Regenschwaden verschwinden.
«Also?», sagte Huw Owen. «Lassen Sie hören. Wie war es bei Stooke?»
«Ich wollte Sie anrufen, wenn ich ein bisschen näher an Zuhause bin. Ich kann hier nicht stehen bleiben, Huw, ich muss weiterfahren.»
«Meine Güte, Sie sind tatsächlich bei diesem Wetter unterwegs? Ich habe es geahnt. Ich habe gerade auf Ihrem Festnetz angerufen, aber der Anrufbeantworter war nicht eingeschaltet.»
«Ich musste etwas erledigen. Ich suche mir eine Stelle, an der ich parken kann, und rufe Sie zurück.»
«Rufen Sie mich an, wenn Sie zu Hause sind.»
«Nein, wir müssen darüber reden. Geben Sie mir zwei Minuten.»
44 Nachtwächter
Bliss beobachtete, wie er steif den Bürgersteig hinunterging und sich dabei nur leicht auf seine Aluminiumkrücke stützte. Einmal blieb er stehen und deutete damit auf irgendetwas. Nur Charlie Howe brachte es fertig, eine leichte Alu-Krücke wie eine Flinte Kaliber 12 aussehen zu lassen.
Bliss war erleichtert, als er ihn sah. Wenigstens einer kam heute Abend nach Hause.
Nur ein bisschen plaudern, Charlie, unter vier Augen. Anders geht es nicht, wenn wir die Kuh vom Eis kriegen wollen.
Charlie lief unter einem großen schwarzen Schirm, den eine Frau mit auffallendem blondem Haar über ihn hielt. Sie war nicht richtig jung, aber mindestens dreißig Jahre jünger als Charlie. Vermutlich im Alter seiner Tochter Annie. Annies Mutter, hatte Bliss gehört, war wie Kleopatra – Geschichte.
Außer dem Schirm hatte die Frau eine Plastiktüte dabei, in der sich anscheinend Flaschen befanden. Bliss vermutete, dass die beiden von Morrisons kamen. Vielleicht hatte Charlie die Frau erst dort kennengelernt. Supermärkte eigneten sich bestens dafür, jemanden abzuschleppen.
Ganz gleich, wer sie war, sie musste Charlie eine Stunde mit ihm allein lassen. Bliss stieg aus dem Auto, als die beiden an Charlies Vorgartentür waren und den kurzen Pfad bis zur Haustür entlanggingen, wo Charlie anfing, in seinen Taschen nach dem Schlüssel zu suchen.
Bliss trottete hinter ihnen her.
«Soll ich Ihre Krücke halten, Charlie?»
Die Frau wirbelte herum, doch Charlie drehte sich ganz langsam um. Wasser prasselte auf den Schirm herab, zu dem Regen kam noch das, was aus der
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