Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
Merrily. «Ich weiß tatsächlich, was er will.»
Merrily hatte geahnt, dass Sophie Helen nicht mit Bliss telefonieren lassen wollte, also hatte sie sich bereiterklärt, selbst mit Helen Ayling zu sprechen.
«Es hat mit Drogen zu tun. Bliss will etwas über Clement Ayling und Drogen wissen.»
Sophie sagte: «Ist das Ihr
Ernst
?»
Merrily versuchte Bliss zurückzurufen, aber sein Handy war besetzt. Sie holte den Gitarrenkasten mit der Boswell aus dem hinteren Flur und legte ihn auf das Sofa im Spülküchenbüro. Dann ging sie wieder zu Lol.
Er stand am Küchenfenster. Sie ging zu ihm und schmiegte sich eng an ihn. Sie küssten sich viel zu lange.
«Es ist nur ein ganz normaler Auftritt», flüsterte Lol.
«Nein, ist es nicht.»
Als sie sich schließlich voneinander lösten, zupfte Merrily ein angetrocknetes Stückchen Schlamm von seinem Sweatshirt. Er beugte sich zu ihr und küsste sie noch einmal auf den Mundwinkel.
«Also … wenn du unbedingt willst, dass ich mich umziehe, gehe ich nach Hause und mache es.»
«Nein. Wenn es dir Glück bringt. Nur … nimm dieses Sweatshirt nicht mit nach Amerika. Die verstehen nicht, welche Bedeutung es hat.»
«Steht sowieso nicht zur Debatte», sagte Lol. «Ich hatte nicht richtig darüber nachgedacht, weißt du. Ich würde nicht mal ein Visum bekommen oder was man da braucht.»
«Und wieso nicht?»
«Ich bin wegen eines sexuellen Übergriffs auf eine Minderjährige verurteilt worden.»
«Oh, zum Teufel.» Sie sah ihm in die Augen. «Jeder weiß, dass das auf falschen –»
«Nein, das wissen die nicht. Vor dem Gesetz bin ich ein Sexualstraftäter.»
«Lol, du kannst das Urteil
für ungültig erklären
lassen.» Merrily schrie beinahe. «Wenn du bei der amerikanischen Botschaft ein Visum beantragst und ihnen erklärst, wie es dazu gekommen ist, kannst du es für ungültig erklären lassen.»
«Das ist überhaupt nicht sicher.»
«Lol … sieh mal … Das ist zwanzig Jahre her, und inzwischen ist bekannt, dass du in die Falle gelockt wurdest. Zu Unrecht verurteilt. Es hat in mehreren Zeitungen gestanden und im Internet. Kein vernünftiger Mensch …»
«Es ist egal.»
«Es ist
nicht
egal.»
Es war eine Sache, wenn er nicht nach Amerika ging, weil es in diesem Stadium seiner Karriere möglicherweise nicht geschickt wäre, aber nicht zu gehen, weil ihm die USA als verurteiltem Gewaltverbrecher die Einreise verweigern würden …
«Außerdem» – Gott, sie brauchte eine Zigarette – «wissen wir, wer der wirkliche Täter war.»
«Dem man aber nichts mehr anhaben kann», sagte Lol, «weil er schon tot ist.»
«Deine Verurteilung war ein Irrtum. Ich sage dir, dass sie das Urteil für nichtig erklären würden.»
«Dreck bleibt kleben.» Lol sah an seinem Sweatshirt hinunter. «Das weißt du. Hör mal, ich muss jetzt los.»
«Warte.» Sie ging zur Tür des Spülküchenbüros. «Ich habe etwas für dich. Das brauchst du heute Abend. Bleib einfach dort stehen.»
Mit Eirion auf den Fersen stapfte Jane in ihren roten Gummistiefeln über den nassen Friedhof. Die Laterne über dem Eingang zur Kirchenvorhalle warf ein schimmerndes Licht auf den feuchten Pfad, über den einst die Toten auf den Friedhof getragen worden waren.
«Es könnte sein, dass ein paar Steine aus dem Neolithikum im Kirchenfundament verbaut sind», sagte Jane. «Ich weiß …
lass dich nicht mitreißen, Jane
. Aber Lucy hat immer gesagt, dass die Kirche auf einer heidnischen Kultstätte erbaut wurde.»
Sie stand unter Hochspannung, seit ihr klargeworden war, was ein Henge für das Dorf bedeuten könnte. Trotz des unaufhörlichen Regens wirkte der Abend auf sie strahlend und schön. Sie sah zum Himmel hinauf, ließ die Kapuze zurückrutschen, ließ sich das Gesicht nass regnen, die Unsicherheit fortspülen.
«Oh nein», sagte Eirion.
Jane senkte den Kopf und sah, dass er sich über Lucys Grab beugte, auf dessen vermoostem Grabstein Regentropfen funkelten. Das Moos durfte nie entfernt werden, das hatte Lucy testamentarisch verfügt.
Jane hastete zu Eirion hinüber, rutschte auf dem nassen Gras beinahe aus.
Es war noch frisch. Trotz des Regens roch man noch die Farbe.
ELENDE HEXE
Die Worte standen in weißer Farbe diagonal über dem Grabstein, überdeckten die Gedichtzeilen von Traherne.
Jane sah sich die Worte ruhig an.
Dann kniete sie sich ins feuchte Gras, legte die Hände rechts und links auf den moosbewachsenen Grabstein und beherrschte sich, behielt ihre Wut für sich.
«Kein
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