Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
religiöse Fragen.»
«Vorreformatorische Klöster liegen ein bisschen vor meiner Zeit.»
«Es ist ein öffentlich zugänglicher Ort», sagte Bliss. «Aber auch wieder nicht so öffentlich, dass die Zurschaustellung eines abgeschlagenen Ratsherrnkopfes eine jubelnde Menge angelockt hätte. Sogar tagsüber geht kaum jemand in diesen Rosengarten. Man kommt von dort aus nirgends hin, es gibt einen hohen Zaun. Wenn es dunkel ist, kann man seine Trophäe dort vermutlich ganz ungestört in Position bringen.»
«Trophäe?»
«Ich denke schon.»
«So, wie im Mittelalter Köpfe zur Schau gestellt wurden? Von Verrätern und Überläufern?»
«Um etwas zu demonstrieren», sagte Bliss.
«Und das wäre?»
Bliss zuckte mit den Schultern.
«Wir leben in extremen Zeiten, Merrily. In der Gegend hier herrscht ziemliche Wut. Wut auf die Regierung, weil sie sich einen Scheiß um die ländlichen Regionen kümmert. Wut auf den Bezirksrat, weil er sich von der Regierung unter Druck setzen lässt und die Kommunalsteuer bis zum Anschlag erhöht und überall die Mittel kürzt.»
«Und immer mehr Schulen geschlossen werden?»
«Und all das auf Anraten hochrangiger Beamter, die bloß ihre Karriere im Auge und keinerlei Bindung an die Gegend hier haben. Und die meisten Ratsmitglieder haben nicht genug Köpfchen, um dagegen zu argumentieren, kriegen aber später den Ärger von der Bevölkerung ab. Kommt das in den seligen Gefilden von Ledwardine denn nicht vor?»
«Soll das ein Witz sein?»
Bliss hatte recht. Wenn Zorn Rauch wäre, dann wäre die von Haus aus entspannte Einwohnerschaft dieser Gegend schon daran erstickt. Allerdings war es ein großer Unterschied, ob man im Dorfpub auf die Verwaltung fluchte oder einen leitenden Vertreter des Bezirksrats jagte, enthauptete und seinen Kopf als Trophäe ausstellte.
«Kann ja auch sein, dass einfach irgendwer ausgeflippt ist, weil er sein Haus verloren oder ihm das Jugendamt das Kind weggenommen hat.»
«Ayling war im Fürsorge-Komitee?»
«Zu irgendeinem Zeitpunkt war Ayling
überall
Mitglied, Merrily. Er hatte seine Finger in allem drin. Und er war ziemlich lautstark. Hat mit seiner Meinung nie hinterm Berg gehalten. Das ist heutzutage nicht mehr in Mode, da wird alles erst mal vom Pressebüro weichgespült.» Bliss brach eine Ecke von seinem Doughnut ab. «Ich bin über etwas ziemlich Interessantes gestolpert, als ich Clement Ayling gegoogelt habe.»
«Aber nicht in Zusammenhang mit seiner Arbeit im Bezirksrat.»
«Doch, aber es ging eigentlich um etwas anderes.» Bliss sah seinen Doughnut an und legte ihn auf den Teller, als die Marmelade zu tropfen begann. «Weil ich unbedingt bei der Ermittlung bleiben wollte, habe ich es an Howe weitergegeben. Wir warten noch auf den Bericht von der Kriminaltechnik, der es vielleicht bestätigt. Ehrlich gesagt könnte es sogar in Ihr Ressort fallen, wenn es einen positiven Befund gibt, Merrily.»
«In mein Ressort? Warum?»
«Das erzähle ich Ihnen, falls es überhaupt so weit kommt. Ich will Ihr Leben nicht unnötig kompliziert machen. Sie fahren doch über die Feiertage nicht weg, oder?»
«Ich
arbeite
, Frannie. Am Heiligabend ist Nachtschicht. Wir machen in der Weihnachtsnacht eine Meditationsversammlung.»
«Was ist aus der Mitternachtsmesse geworden?»
«Die kommt anschließend. In aller Ruhe. Also kein inbrünstiges Liedersingen bis zum Morgengrauen.»
«Sie sind ja richtig radikal, Merrily. Das wird den Säufern nicht gefallen. Bei denen gehört es schließlich zum Weihnachtsfest, um fünf vor zwölf in die Kirche zu wanken und ‹Kommet ihr Hirten› zur Melodie von ‹Stille Nacht› zu schmettern.»
«Bevor sie ihr Abendessen auf irgendeinen Grabstein kotzen. Solche Leute haben wir nicht in den New Cotswolds, Frannie.»
«Ach übrigens …», Bliss strich mit dem Finger die heruntergetropfte Marmelade von seinem Teller auf, «… was ich noch sagen wollte. Unser Freund Mr. Jonathan Long von der überbezahlten Versagertruppe – warum ist der wohl in Ledwardine?»
«Meine Güte, das hatte ich ganz vergessen.»
«Ja, gut, dann vergessen Sie es am besten gleich noch mal. Ich wollte es Ihnen erzählen, aber jetzt kann ich es nicht. Ich dachte, es wäre gut, wenn Sie über einen bestimmten Umstand informiert wären, aber … das ist es wohl doch nicht.»
«Sie haben mich in dieses Café geschleppt, um mir zu sagen, dass Sie mir nichts sagen können?»
«Ich kann nur sagen, dass es eine vorübergehende Sache ist und Sie
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