Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
das sich an Janes eigenes Nervensystem angeschlossen hatte.
Sie blieb nur ganz kurz an Lucys Grab stehen, um die Hand auf den Grabstein zu legen und sich Glück zu wünschen, bevor sie weiterlief in den nassen und tropfenden Obstgarten.
Sie stellte sich eine kurze, poetische Filmsequenz vor, in der sie und Bill der Ley folgten, unterlegt mit schwermütiger Musik, vielleicht mit Nick Drakes ‹Hazey Jane 2 ›.
Im ältesten Teil des Obstgartens mit seinen knorrigen, urzeitlich erscheinenden Bäumen hingen überall kugelige Misteln mit weißen Beeren. Vielleicht würde sie vorm Dunkelwerden noch einmal mit einer Gartenschere herkommen und versuchen, zu einer Mistel hochzuklettern. Immerhin kam Eirion am Sonntag. Inzwischen ziemlich aufgeregt, durchquerte Jane das letzte Stück des Obstgartens und …
Wow!
Dabei hatte sie schon am Vorabend gedacht, auf der Weide wäre viel los.
Es sah aus wie bei einem mittelgroßen Rockfestival. Noch mehr Zelte standen da, Wohnwagen, ein Camper-Bus, der Kran … überall waren Autos abgestellt, ein Polizeiauto war auch dabei. Es sah aus, als wäre auf Coleman’s Meadow über Nacht ein neues Dorf aus dem Boden geschossen.
Jane zählte drei Fernsehteams. Außerdem standen in der Nähe des neuen Zinkgatters neben einem kleineren grünen Wohnwagen ein paar Leute.
Während Adrenalin durch ihre Adern schoss, rannte sie zu Neil Cooper, der allein etwas abseits stand. Der blonde, magere Coops in Jeans und mit einer Segeltuchtasche über der Schulter. Es war sein freier Tag, aber wer würde sich das hier entgehen lassen?
«Ist ja totaler Wahnsinn, Coops, ich hatte keine Ahnung, dass so viele …»
«Jane.» Coops nahm Jane am Arm und zog sie wortlos mit, bis sie hinter dem dicken Stamm einer alten Eiche waren. «Es ist anders, als du denkst.»
«Was ist denn los?»
«Die Medien sind mit ihrem gesamten Wanderzirkus hergekommen. Aber das hat nichts mit der Ausgrabung zu tun.» Coops nahm eine Zeitung aus seiner Schultertasche und gab sie Jane. «Es geht um das hier.»
Jane schlug die Zeitung auf. Der
Daily Star
war vermutlich nicht Coops tägliche Frühstückslektüre.
Aber normalerweise war auf der Titelseite auch kein alter und langweiliger Kerl wie Clement Ayling abgebildet.
KOPFJÄGER !
Bezirksratsvorsitzender
von heidnischen Psychopathen
geköpft
Es war, als wäre eine Hand aus der Zeitung geschnellt und hätte Jane eine Ohrfeige verpasst. Sie trat unwillkürlich einen Schritt zurück und stand in einer Pfütze.
«Das war die einzige Zeitung, die es in eurem Dorfladen noch gab», sagte Coops, «aber ich schätze, die Artikel in den anderen Zeitungen klingen genauso.»
Jane las den recht kurzen Bericht. Die Polizei wurde mit der Meldung zitiert, es sei erwiesen, dass die Steinsplitter, die «mit dem Kopf» gefunden worden waren, von der Dinedor-Schlange stammten, «einem vorzeitlichen Weg, der von den Heiden aus der Region für heilig gehalten wird.» Dieser Weg jedoch war von Clement Ayling, dessen Körper man im Wye entdeckt hatte, als «Terrassenkies» abgetan worden. Infolge dieser Aussage waren er und die Mitglieder seines Bezirksrats von «heidnischen Gruppen» und dem «Top-Fernseh-Archäologen Bill Blore» angegriffen worden.
«Oh.» Jane stieg aus der Pfütze und gab Coops die Zeitung zurück. «Jetzt wollen ihn natürlich alle interviewen.»
«Das Gesetz der Berühmtheit», sagte Coops.
«Wusstest du von diesen Steinsplittern, Coops?»
«Nicht das Geringste. Falls die Polizei bei meinem Chef war, hat er mir nichts davon erzählt.»
«Aber echt, selbst wenn es stimmt, wie können die Bullen sagen, es wären die Heiden gewesen? Ich meine,
wie kommen sie denn dazu
?»
«Haben sie wahrscheinlich gar nicht. Das hat die Presse aus den Informationen gemacht, die sie von der Polizei bekommen hat.»
«Wo ist Bill Blore jetzt?»
«Irgendwo, wo er sich wünscht, er hätte seine Klappe gehalten.» Coops schien nicht allzu verärgert darüber, dass Blore in die Defensive geraten war. «Hat sich im Wohnwagen eingeschlossen, um mit einem Freund zu telefonieren. Anscheinend geht er davon aus, dass er noch einen hat.»
Jane dachte über die Folgen der Zeitungsberichte nach und sah auf die Uhr. Sechs Minuten vor zehn.
«Coops, hat das Auswirkungen auf mein Interview?»
«Er ist ziemlich abgenervt, Jane. Ist schon vor acht Uhr hergekommen. Wollte einen guten Grabungsbeginn haben, solange es gerade mal nicht regnet, und jetzt kann er nicht anfangen.»
Jane hörte
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