Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
Brühe, die der Dämmerung vorausging, erschien ihr der Gedanke, dass ein alter Mann getötet und ihm der Kopf abgeschlagen worden war, sehr real und beängstigend. Und als Jane versuchte, die prickelnde Aufregung vom Vortag wieder wachzurufen – die Epiphanie –, tauchte immer wieder etwas anderes in ihrem Kopf auf, wie ein Korken, der sich nicht die Toilette runterspülen ließ. Etwas, das Coops am Abend zuvor auf der Coleman’s Meadow über Bill Blore und
Trench One
gesagt hatte.
Anscheinend will er die Sendung in einer der ersten Folgen aus der nächsten Trench-One-Staffel haben. Und die läuft ab Neujahr.
Beim Aufstehen wurde ihr klar, was das bedeutete. Sie hatte Ende Januar zwei Gespräche an den Unis, an denen sie sich beworben hatte. Wenn Bill Blores Sendung über Ledwardine im nächsten Jahr die neue
Trench One
-Staffel eröffnete, würden die Typen von der Uni sie mit Sicherheit gesehen haben.
Sie hätten gesehen und gehört, was Jane Watkins über Coleman’s Meadow zu sagen hatte. Und das würde ihnen wieder einfallen, sobald diese Leute sie sahen. Also musste sie es einfach verdammt gut machen. Ganz egal, wie beschissen alles andere war, sie musste dafür sorgen, dass sie aus diesem Interview einen Nutzen ziehen konnte.
Um halb sieben war sie fertig angezogen und draußen. Als die Sonne aufging, wirkte alles nicht mehr so düster. Am Horizont hing ein lachsfarbener Schimmer, und nirgends waren dunkle, bedrohliche Wolken zu sehen. Auf jeden Fall war das Wetter viel besser, als es in den Nachrichten vorausgesagt worden war. Jane ging zum Fluss, dessen Pegelstand immer noch bedrohlich hoch war. Sie stand auf der Brücke, und wenn sie sich übers Geländer beugte, konnte sie beinahe das Wasser berühren. Sie brauchte etwas davon … seine Energie. Sie musste in dem Interview begeistert und entschlossen klingen. Nicht wie eine Jugendliche, die zufällig über etwas gestolpert war, das sie nicht verstand. Denn sie verstand sehr wohl, worum es ging. Sie verstand, was die Steine früher bedeutet hatten. Und was sie heute bedeuteten.
«Alles klar mit dir?», hatte Mom beim Frühstück gefragt.
«Ja, schon okay.»
«Hmm.»
Mom trug ihre Wochenend-Freizeitmontur, Jeans mit Loch am Knie und ein altes Gomer-Parry-Landwirtschaftsdienste-T-Shirt.
«Nein, wirklich», sagte Jane.
«Also … ich würde dir raten, aus meinen Fehlern zu lernen und vorher nicht zu viel nachzudenken. Du musst mehr oder weniger wissen, was du sagen willst, aber überleg dir nicht zu genau, wie du es ausdrücken sollst.»
«Nein, mach ich nicht», sagte Jane. Nachdem sie gerade zwanzig Minuten damit verbracht hatte, in Gedanken ihre Rede einzustudieren.
«Und zu früh solltest du auch nicht kommen», sagte Mom, «sonst stehst du nur in der Kälte rum und wirst nervös.»
«Wird schon klappen», sagte Jane. «Sag mal, das wollte ich überhaupt noch fragen, hast du was über Mathew Stooke rausgefunden? Ich meine, abgesehen davon, dass du sein Buch gekauft hast?»
«Wer hat dir das erzählt?»
«Mom, es liegt auf dem Schreibtisch. Er ist ein Idiot, oder? Wenn ich diese verdammte Lensi das nächste Mal sehe …»
«Nein! Sag nichts zu ihr. Lass dir nicht anmerken, dass du weißt, wer sie sind. Das ist im Moment besser.»
«Warum?»
«Weil … ich weiß nicht, aber irgendwas stimmt da nicht. Nenn es von mir aus eine Ahnung.» Jetzt gab Mom schon zu, dass sie auf
Ahnungen
hörte? Hatte sich ja in null Komma nichts in einen zweiten Traherne verwandelt. Aus irgendeinem Grund wurde Jane ein bisschen leichter ums Herz.
«Los», sagte Mom. «Mach dich fürs Fernsehen schön.»
Am Ende entschied sich Jane für ein ganz einfaches Outfit: Jeans und einen übergroßen dunklen Pulli. Und ein Hauch Make-up. Wenn sie zu aufgedonnert rüberkam, zu sexy, würde das den falschen Eindruck machen. Na ja,
sexy
war vermutlich in Ordnung, auf einer
geistigen
Ebene. Wenn Bill Blore sie interviewte, konnte es ruhig ein bisschen knistern. Bill hatte einiges für Frauen übrig, das war bekannt.
Damit hatte Jane kein Problem.
Sie trank einen Becher Tee mit einem Löffel Extrazucker, und Mom wünschte ihr Hals- und Beinbruch. Als Jane über den Marktplatz ging, spürte sie, wie ihr das Schicksal auf die Schulter tippte, wie sie an der Schwelle zu irgendetwas stand. Die rote Erde gab ihre langgehüteten Geheimnisse preis, die Dinedor-Schlange und die prähistorischen Steine von Ledwardine waren durch ein uraltes Energiefeld miteinander verbunden,
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