Sündenflut: Ein Merrily-Watkins-Mystery (German Edition)
an den Stoff?», sagte Bliss.
«Sie … bringen es mir in mein Geschäft. In Pappschachteln. Die Schachteln gebe ich ihnen. Damit es so aussieht, als bekäme ich Ware von einem meiner normalen Zwischenhändler.»
Wie sich herausgestellt hatte, besaß Banks-Jones das Juweliergeschäft, in dem Bliss – welche Ironie – den Verlobungsring für Kirsty gekauft hatte. Allerdings war der Laden damals noch von Banks-Jones’ Vater geführt worden.
«Wen meinen Sie mit
sie
?»
Keine Antwort. Zum ersten Mal spürte Bliss Angst. Es musste eine bestimmte Person geben, die Banks-Jones nicht belasten wollte. Jemand, der ganz genau wusste, wo Banks-Jones wohnte.
«Und wie sind Sie dazu gekommen? Erzählen Sie, Gyles. Wie haben Sie den ersten Kontakt hergestellt?»
«Ich unterrichte einmal wöchentlich in der Kunsthochschule. Schmuckdesign. Jemand, den ich dort kennengelernt habe … ich
kann es nicht
.» Gyles schüttelte den Kopf, als wäre er gerade aufgewacht. «Das kann ich nicht machen. Ich muss in dieser Stadt leben. Diese Leute sind keine Kriminellen.»
«Von wem reden Sie?»
«Ganz bestimmt von niemandem, der gestern auf der Party war. Und auch nicht von der Person, die den Kontakt mit …»
«… richtigen Kriminellen hergestellt hat?»
«Wir halten sie uns vom Leibe. Keiner von uns kann es sich leisten … Wir sind alle entweder selbständig, mit all dem Stress, den das heutzutage mit sich bringt, oder haben anspruchsvolle Berufe. Wir sind keine …
Asozialen
. Es geht um Erholung, Entspannung … um eine Möglichkeit zum
Auftanken
.»
Bliss sagte: «Sie sind ein Versager, Gyles, wissen Sie das eigentlich?»
«Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie manche von diesen Leuten sind?»
«
Natürlich
weiß ich, wie solche Leute sind, was denken Sie denn? Und deshalb würde ich auch viel lieber diese Leute wegsperren als Sie. Wenn Sie Ihre Karten richtig ausspielen, können Sie zum Abendessen an Weihnachten wieder zu Hause sein – und von schönem Porzellan schmeckt es auch bestimmt viel besser als von einem Blechteller mit kleinen abgeteilten Ecken für die Kartoffeln und die Erbsen. Also reden wir doch mal über Ihre Freunde und Nachbarn, denen Sie beim
Auftanken
helfen. Ist dabei zufällig auch der Mann, der neben Ihnen wohnt?»
«Wieso können Sie nicht einfach Anklage gegen mich erheben und …»
«Sie herumspazieren und alle warnen lassen? Bitte, Gyles, beleidigen Sie nicht meine Intelligenz. Sie wissen genau, hinter was ich her bin.»
«Hören Sie … ich halte Abstand. Ich versuche nicht, diese Leute kennenzulernen. Und wenn ich gewusst hätte, was das für Menschen sind, hätte ich nie …»
«Woher wissen Sie denn, was das für Menschen sind?»
«Ich weiß, wo sie wohnen. So ungefähr.»
«Jetzt lassen Sie mich raten. Im Plascarreg? In den runtergekommenen Sozialbauten? Machen Sie sich keine Sorgen, dort kommt heute keiner weg, es sein denn, man rudert mit dem Boot über den Belmont-Kreisverkehr.»
«Das ist unerträglich», sagte Gyles Banks-Jones. «Der reine Albtraum.»
35 Paganus
In dieser Kirche war das Heidentum überall. Es glitzerte in den Stechpalmenzweigen auf den Fensterbrettern, schimmerte aus dem roten Apfel, den Eva auf einem Glasbild in der Hand hielt, auf dem es mehr um die Fruchtbarkeit des Obstgartens ging als um die Ursünde.
Merrily hielt inne und schaute den Mittelgang hinunter, ohne jemand bestimmten anzusehen. Sie hatte ein paar Lampen hoch oben im Deckengebälk angeschaltet und sonst nur einige Punktstrahler.
Sag es.
«Letzte Woche wurde ich mehr oder weniger bezichtigt, eine Heidin zu sein.»
Mehr Leute wären besser gewesen, aber am Tag vor Weihnachten kamen nie viele zur Messe. Und es würde weitererzählt werden – solche Sachen wurden immer weiterverbreitet.
Merrily hatte sich auf einen Hocker gestellt und die Hände auf den Rand der gotischen Kanzel gelegt, die viel zu hoch für sie war.
Sie hatte ihren Gemeindemitgliedern erklärt, dass es zur Bedeutung von Coleman’s Meadow für das Dorf einiges zu sagen gab.
Es waren ungefähr fünfunddreißig Leute gekommen. Doch es hätte schlimmer sein können, da an diesem Sonntag die Läden geöffnet hatten, damit noch Weihnachtsgeschenke gekauft werden konnten. Plötzlich fiel Merrily ein, dass sie noch nach Knights Frome musste, um die Boswell-Gitarre abzuholen.
Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Der Regen schlug wie ein Pfeilhagel an die Fenster. Das Getrommel hatte sie geweckt, lange bevor es hell
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