Sündenkreis: Thriller (German Edition)
ausgetrocknet, die Augenflüssigkeit mit Kalium-Ionen angereichert. Alles Anzeichen dafür, dass sie gehungert hat und kaum etwas zu trinken bekam. Gestorben ist sie allerdings durch Ausbluten. Der Täter hat ihr die Pulsadern geöffnet«, – bei diesen Worten sah Lara erneut das gebogene Messer über die bleiche Haut gleiten, sah, wie sich ein See aus tiefrotem Blut bildete, wie Rinnsale von Handgelenken weg in alle Richtungen sickerten –, »… vorher muss er sie ruhiggestellt haben. In Nina Bernsteins Blut wurden Spuren von Betäubungsmitteln gefunden, die kaum verstoffwechselt waren. Das heißt, sie hat diese erst kurz vor ihrem Tod zu sich genommen.«
»Oder sie wurden ihr eingeflößt.« Vor dem Küchenfenster wirbelten Schneeflocken auf und ab, und Lara hatte das Gefühl, die Dunkelheit beobachte sie mit ruhelosen Augen. Sie ging, um die Vorhänge zuzuziehen.
»Oder sie wurden ihr eingeflößt, richtig.«
»Bei der Pressekonferenz heute Nachmittag haben sie gesagt, dass vom Zeitpunkt ihres Verschwindens bis zum Auffinden der Toten über eine Woche vergangen sei. War die Leiche auch eingefroren?«
»Dafür gab es dieses Mal keine Anzeichen. Eine exakte Feststellung des Todeszeitpunktes war allerdings schwierig, da die Leiche bei Minusgraden draußen gefunden wurde und wir nicht wissen, wie lange sie schon in dieser Kirche aufgebahrt war. Ich gehe davon aus, dass der Täter sie die ganze Zeit in seiner Gewalt gehabt hat. Lebend.«
»Wozu? Was macht er denn die ganze Zeit mit ihnen?« Lara flüsterte. Mark antwortete nicht. Ihr Blick fiel auf die hastig hingekrakelten schwarzen Buchstaben auf den gelben Zetteln, und ihr fiel etwas ein. »Stimmt es, dass etwas auf ihre Stirn geschrieben war? Was war es?«
»Nicht nur auf die Stirn. Auch auf dem Rücken stand etwas.« Mark holte rasselnd Luft und hustete dann. Lara riss einen neuen Zettel ab und wartete, dass er weitersprach.
»Der auf den Rücken tätowierte Text ist genau wie der erste lateinisch. Auf der Stirn standen die Wörter luxuria und Asmodaeus .« Lara schrieb die beiden Begriffe auf.
»Und in den Augenhöhlen steckten zwei Holzkugeln.«
»Was?«
»Er hat ihre Augen entfernt und stattdessen die Kugeln dort positioniert.«
»Waren Muster auf den Murmeln eingraviert? Mit dunkelblauer Farbe?« Lara ging zum Vorratsschrank, öffnete ihn und las die Aufschriften auf ihren Gewürzdosen. Sie musste dieses Bild loswerden, wie der Verrückte die Augen der Toten herausschälte, um sie durch zwei Holzkugeln zu ersetzen.
»Nicht Muster, Buchstaben. Es waren Buchstaben. Die gleichen Wörter wie auf der Stirn. Auf einer Kugel stand luxuria , auf der anderen Asmodaeus . Woher weißt du von den Kugeln? Hast du es ›gesehen‹?«
»Ja.« Das Rotweinglas war leer. Lara konnte sich nicht erinnern, es ausgetrunken zu haben. Sie goss nach. »Damit ist ja wohl klar, dass die beiden Fälle zusammenhängen.«
»Davon geht die Kripo aus. Es soll allerdings noch nichts davon an die Öffentlichkeit dringen, damit der Täter nicht erfährt, was die Soko alles weiß.«
»Warum hat eigentlich niemand diese Nina vermisst?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht hat sie allein gelebt, war womöglich arbeitslos. Da fällt es nicht so schnell auf, wenn jemand ein paar Tage verschwindet.«
»Hm.« In Laras Blut kreiste der Wein. Sie fühlte sich ein wenig schläfrig. »Und warum hat er sie in der verfallenen Kirche aufgebahrt? An einem Ort, wo sich niemand aufhält? Das vermindert doch die Chance, dass die Leiche gefunden wird, immens.«
»Ich glaube, er wollte sie öffentlich zur Schau stellen und genau so präsentieren, wie er es getan hat – in einer Kreuzigungspose; und er wollte auch, dass sie gefunden wird. Die Heuerswalder Kirche wäre auf jeden Fall vor dem Abriss noch einmal kontrolliert worden. Ich gehe davon aus, dass es unbedingt ein Gotteshaus sein sollte. Allerdings brauchte der Täter für sein Arrangement Zeit. Zeit, in der er alles so arrangieren konnte, wie er es sich vorstellte.«
»Die hätte er in einer noch genutzten Kirche nicht gehabt. Erstens gelangt man da nicht so ohne Weiteres außerhalb der Öffnungszeiten rein, zweitens hätte er die ganze Zeit fürchten müssen, beim Herrichten der Toten entdeckt zu werden, weil Gläubige oder Angestellte hätten hereinkommen können. Die Kirche in Heuerswalde war perfekt für seine Zwecke. Sicher hat er auch gewusst, dass alle Gebäude vor dem Abriss noch einmal gründlich inspiziert werden und man dann
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