Sündige Gier
Sie sah ihn an. »Er zog mich aus dem Morast und zeigte mir einen neuen Weg auf. Wollen Sie noch etwas wissen?« Sie erwartete weitere Fragen nach ihrer Ehe oder nach Paul. Aber er überraschte sie.
»Warum hassen Sie Creighton so sehr?«
»Wieso fragen Sie das, Sie kennen ihn doch? Mögen Sie ihn etwa?«
»Das ist irrelevant.«
»Für mich nicht.«
»Wieso sind Sie so sicher, dass er heute Abend in Ihr Haus eingebrochen ist?«
»Wieso sind Sie so sicher, dass er es nicht getan hat?«
»Das bin ich nicht. Ich weiß es nicht. Aber Sie sind offenbar davon überzeugt. Warum?«
Sie verschränkte die Arme, lehnte sich von innen gegen die Autotür und musterte ihn. »Ich dachte immer, Anwälte würden nie Fragen stellen, deren Antwort sie nicht schon kennen.«
»Das gilt nur fürs Kreuzverhör.«
»So komme ich mir auch vor.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Er ließ sich nicht beirren. »Konnten Sie Creighton von der ersten Begegnung an nicht leiden?«
»Ja, aber da hatte Paul mir schon so einiges über ihn erzählt, darum war ich schon vor der ersten Begegnung ziemlich sicher, dass ich ihn nicht mögen würde. Und er hat meine schlimmsten Erwartungen bestätigt.«
»Es gab keine besondere Episode, kein bestimmtes Ereignis, das Ihre Abneigung gegen ihn ausgelöst hat?«
Sie legte den Kopf schief. »Was für eine Art Frage ist das, Mr Mitchell? Eine, auf die Sie die Antwort kennen? Oder eine von den anderen?«
»Das ist reine Neugier.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
»Wirklich nicht? Mist.« Er grinste und beschwerte sich weinerlich: »Dabei habe ich so ein ehrliches Gesicht.«
»Ich enttäusche Sie nur ungern, aber Ihr Lächeln ist alles, nur nicht ehrlich. Sie grinsen wie ein Kartenhai mit vier Assen im Ärmel.«
Er lachte leise. »Ich wurde schon schlimmer beleidigt.« Er wartete ein, zwei Herzschläge ab und sagte dann: »Nur noch eine Frage. Tragen Sie Schwarz, weil Sie trauern?«
Der abrupte Themenwechsel überraschte sie. Er bemerkte es und nutzte das sofort aus. »Jedes Mal, wenn ich Sie sehe, tragen Sie Schwarz. Im Flugzeug ein schwarzes Kostüm. Bis auf die weiße Bluse. Mit den Perlknöpfen. Kleinen runden Perlknöpfen.«
Sie musste unwillkürlich daran denken, wie hastig er sie aufgezerrt hatte, und spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.
»In der Galerie ein schwarzes Kleid. Und heute Abend schon wieder.« Sein Blick wanderte von ihrem tiefen V-Ausschnitt zum Saum hinunter und wieder nach oben. »Schick und sexy, aber trotzdem schwarz. Tragen Sie das für Paul Wheeler?«
»Ich trage es, weil ich Schwarz liebe.«
»Es steht Ihnen gut. Heute Abend waren Sie nicht zu übersehen unter all den prächtigen Farben.«
»Wie zum Beispiel Smaragdgrün.« Sie zögerte kurz und sagte dann: »Die Lady ist übrigens zauberhaft.«
»Allerdings.«
»Wusste sie, dass Sie zu meinem Haus fahren, nachdem Sie sie abgesetzt haben?«
»Nein.«
Die Sekunden verstrichen, und plötzlich schlug die Stimmung im Wagen um. Die Luft schien sich zu verändern. Oder genauer gesagt nicht mehr zu ändern. Auf einmal schmeckte sie schal und muffig.
»Ich sollte jetzt gehen.« Sie fasste zwar nach dem Türgriff, zog ihn aber nicht auf. Inzwischen prasselte der Regen aufs Autodach. Auf der anderen Straßenseite hatte sich der Hotelportier in die schützende Lobby verzogen. »Ich habe schon von dem Hotel gehört, aber ich war noch nie drin.«
Das Logo auf dem Vordach trug die verschnörkelten und ineinander verschlungenen Buchstaben CH. Im vergangenen Jahrhundert war das Anwesen unter dem Namen Coulter House errichtet worden. Vor einigen Jahren hatten Investoren es in ein exklusives Luxushotel umgewandelt, in dem vor allem Gäste mit Platinkarten willkommen geheißen wurden.
»Es ist nett«, versprach Derek. »Klein, aber elegant. Der Service ist außergewöhnlich gut.« Er fing ihren fragenden Blick auf und ergänzte: »Ich quartiere hier ab und zu Mandanten von außerhalb ein.«
Gezackte Blitze jagten durch den Himmel, gefolgt von knallendem Donner. Sie beobachteten, wie das Gewitter über den Himmel rollte, und hörten den Regen auf das Autodach trommeln, aber minutenlang rührte sich keiner und sprach keiner ein Wort. Die Scheiben begannen zu beschlagen. Nach einer Weile fragte er: »Haben Sie den Mann auf dem Foto wiedererkannt?«
»Den Mann in der Lobby des Moultrie? Nein. Nicht einmal auf dem zweiten Satz Fotos.«
»Es gibt einen ganzen Satz davon?«, fragte er. »Ich habe nur das eine Bild gesehen.«
»Er
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