Sündige Gier
tauchte schon mehrere Tage vor dem Raubüberfall auf den Überwachungsvideos auf.« Sie erzählte ihm, wie Kimball und Sanford am Morgen mit den Bildern in die Galerie gekommen waren. »Ein Bild ist ziemlich deutlich, aber ich habe den Mann trotzdem nicht erkannt. Genauso wenig, wie Doug oder Sharon ihn erkannt haben.«
»Oder Creighton.«
»Sie glauben ihm das?«
»Ich habe ihm das Bild persönlich gezeigt, Julie. Ich habe in seinem Gesicht auf eine Reaktion geachtet, und ich bin gut darin, Reaktionen einzuschätzen. Er hat keine gezeigt.«
»Natürlich nicht! Er wusste doch, dass Sie auf eine lauern. Begreifen Sie nicht? Er spielt verschiedene Rollen. Er…«
Sie unterbrach sich. Einstweilen war er Creightons Anwalt. Schon jetzt fragte er sich offenbar, ob sie Pauls Neffen nur beschuldigte, weil sie ihn so abgrundtief verabscheute. Hätte er sie sonst gefragt?
Sie sagte: »Im Fernsehen sollte das Foto des Mannes heute Abend in den Nachrichten gezeigt werden.«
»Vielleicht bringt das etwas.«
»Vielleicht. Aber vorerst ermitteln die Detectives in eine andere Richtung.«
»Und die wäre?«
»Dass ich hinter dem Mord an Paul stecke.« Als er stumm blieb, fragte sie: »Hat Ihnen das die Sprache verschlagen?«
»Ja. Ich bin sprachlos. Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet.«
»Ich auch nicht.«
»Wie zum Teufel kommen Sie denn darauf?«
Sie erzählte ihm, wie sie dem Räuber getrotzt hatte. »Offenbar stehe ich ganz oben auf der Liste der Verdächtigen, weil ich nicht sofort auf die Knie gefallen bin.«
»Warum haben Sie sich nicht hingekniet?«
»Ich habe versucht, hinter der Sonnenbrille und Skimaske Creighton zu erkennen.«
»Er war es nicht.«
»Wie oft habe ich das schon gehört?«
Wieder breitete sich im Wagen ein beklommenes Schweigen aus, über dem der tosende Sturm noch wütender wirkte. Schließlich sagte er: »Wann bekomme ich mein Gemälde?«
»Es wird morgen geliefert. Sie wissen doch, dass es nicht annähernd so viel wert ist, wie Sie geboten haben, oder?«
»Ich sehe das als Investition.«
»Sie werden vielleicht Jahre warten müssen, bis sie sich auszahlt.«
Er blieb gelassen. »Das Geld dient einem guten Zweck. Außerdem wollte ich es haben.«
»Ganz gleich, ob Ihre kleine Freundin damit einverstanden ist oder nicht.«
»Sie ist nur eine Freundin«, sagte er ruhig.
»Das geht mich nichts an.«
»Warum sprechen Sie dann ständig von ihr?«
Darauf wusste sie keine Antwort.
»Lindsay und ich lernten uns kennen, als sie sich mit meinem besten Freund an der Universität verlobte«, erzählte er. »Ich war bei der Hochzeit Trauzeuge, und ich bin Taufpate ihres Sohnes Jackson. Kurz nachdem Jackson getauft wurde, starb mein Freund. Einfach so. Bei einem Unfall im morgendlichen Stoßverkehr auf der Fünfundachtzig. Wir halfen uns gegenseitig durch die Trauerzeit und sind seither befreundet.
Manchmal, so wie heute Abend, braucht sie einen zuverlässigen, unkomplizierten Begleiter, wenn sie irgendwohin geht. Und sie weiß nicht, dass ich jetzt mit Ihnen im Auto sitze, weil wir uns zwar sehr nahe sind, aber ich trotzdem nicht weiß, wie sie nackt aussieht, und das auch gar nicht wissen will.«
Julie holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. »Also, Sie haben es jedenfalls geschafft, dass ich mir mies vorkomme. Und genau das wollten Sie doch erreichen, oder?«
Er schloss die Augen, legte die Stirn in Falten und kniff sich in die Nasenwurzel. »Ja, genau das wollte ich erreichen.«
»Warum?«
Er ließ die Hand sinken und sah sie an. Plötzlich nahm er ihre Hand in seine beiden und drückte sie. Seine Stimme klang eindringlich und aufrichtig. »Weil du mich seit unserer Begegnung im Flugzeug nicht ein einziges Mal, bei all unseren Begegnungen, mit meinem Vornamen angesprochen hast und weil ich das für mein Leben gern hätte. Weil ich im Moment als Anwalt für die Wheelers benannt bin. Weil du einem von ihnen mehrere schwere Straftaten unterstellt hast, womit wir juristisch betrachtet auf verschiedenen Seiten stehen. Weil es ungehörig und nicht standesgemäß ist, dass wir uns alleine treffen. Weil ich mir heute Abend einen Vorwand aus den Fingern gesogen habe, um zu dir nach Hause zu kommen, damit wir allein sein können. Weil ich meine Hände kaum noch bei mir halten kann, wenn ich in deiner Nähe bin, und weil ich ständig daran denken muss, wie du dich unter diesem Kleid anfühlst.«
Abrupt, als hätte sich eine Sprungfeder gelöst, fasste er über den Sitz hinweg,
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