Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
gesehen.«
»Welch eine Freude, Sie hier anzutreffen, Lady Hucknun!« Er beugte sich über ihre Hand, und Miranda sah, wie er die Finger der Frau streichelte. In aller Öffentlichkeit, einfach unmöglich. Anscheinend tat er überhaupt nichts, ohne seinen Ruf als notorischer Schwerenöter unter Beweis zu stellen.
Die Lady warf ihr einen kurzen Blick zu, befand sie als zu unwichtig, um weiter Notiz von ihr zu nehmen, und versetzte Downing mit ihrem Fächer einen Klaps auf den Arm. »Sie böser Mann! Uns Ihre Gesellschaft so lange vorzuenthalten!«
»Dafür verdiene ich eine besonders harte Strafe.«
»O ja«, bestätigte sie und zwinkerte ihm anzüglich zu.
In diesem Moment trat von der anderen Seite ein Mann hinzu. »Downing.«
»Colin.«
Interessiert beobachtete Miranda von ihrem Platz neben der Säule die Szene. Ein eigenartiges Schweigen entstand, das auf sie irgendwie peinlich wirkte, und sie überlegte, ob sie sich davonschleichen sollte. Forschend schaute die Lady zwischen den beiden Gentlemen hin und her, einen begierigen Glanz in den Augen. Wie Georgette, wenn sie eine schlüpfrige Klatschgeschichte witterte. Den Viscount schien es nicht zu stören, doch der Jüngere trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Schließlich starrte er die Lady demonstrativ an, verzog die Lippen und deutete eine knappe Verbeugung an. Die Dame verstand und verabschiedete sich. »Bis später, Downing.«
Der Viscount verneigte sich. Während sie davonschlenderte, richtete er seinen Blick erneut auf Colin, der Miranda ebenfalls ignorierte. Vermutlich hielt er sie für einen Dienstboten, mitgeschleppt von einem der Gäste.
»Die Marchioness hat nach dir gefragt«, sagte der junge Mann, sobald die neugierige Lady Hucknun sich außer Hörweite befand.
»Tatsächlich?« Downings Stimme klang ruhig, aber Miranda bemerkte, dass sich seine Hand fester um den Griff seines Spazierstocks schloss.
»Sie braucht deine Hilfe.«
»Welch eine Überraschung.«
»Sorgt unsere Mutter nicht ständig für Überraschungen?« , sagte Colin bitter.
Mutter? Colin war also der Vorname. Jetzt betrachtete Miranda ihn etwas genauer. Blaue Augen, hellbraunes Haar, ein ganz anderer Typ also, doch so ähnlich gekleidet wie der Bruder, als versuche er den Älteren zu imitieren. Zweifellos ein attraktiver Junge. Mit seinen zwanzig oder einundzwanzig Jahren glich er einer unvollendeten, wiewohl vielversprechenden Skulptur.
»Tun wir das nicht alle?« Downings Frage klang nur oberflächlich gelassen, denn ein unterschwelliger, scharfer Ton war nicht zu überhören. »Heutzutage hat man so wenige Möglichkeiten, sich zu amüsieren.«
»Manche Leute führen ein ausgefülltes Leben, ohne ständig in den Klatschspalten präsent zu sein.«
»Aha, die ewige Stimme der Vernunft – deine unvergleichlichen Lehrer scheinen wieder ganze Arbeit geleistet zu haben.« Nonchalant schnippte der Viscount mit den Fingern. »Schon jetzt fürchte ich, was mit dir geschehen mag, wenn du dein Studium beenden und das Leben aus eigener Erfahrung kennenlernen wirst.«
Colins Augen verengten sich. »Hast du am helllichten Tag getrunken?«
»Was kümmert dich das? Widme dich lieber deinen literarischen Neigungen.«
»Findest du nicht, dass man sich ernsthaft Sorgen machen muss um den guten Namen unserer Familie?« Als der Bruder schwieg, verzog Colin die Lippen. »Mein Ethiklehrer meint, mit der Aristokratie würde es bergab gehen.«
»Dummer Wichtigtuer!«
»Ein brillanter Philosoph«, stieß Colin hervor.
»Und wie willst du das Problem lösen?«
»Dafür bist du verantwortlich.«
»Wieso das?«
Colin ballte eine Hand zur Faust. »Weil du der Erbe bist!«
»Und?«
»Es ist deine Aufgabe, Mutter an die Kandare zu nehmen.«
»Vorerst bin ich nur der Erbe, nicht das Familienoberhaupt. Es wäre also Sache unseres Vaters, Mutter ins Gebet zu nehmen oder ihr vielleicht die Apanage zu kürzen.«
Colin lachte höhnisch. »Sehr amüsant.«
»Wirklich?« Downing nahm ein Glas von einem Tablett, das ein Lakai gerade herumreichte. »Erst letzte Woche habe ich ihn gesehen. Das heißt, er lebt noch und könnte ihr ins Gewissen reden.«
»Vater interessiert sich bloß für sein eigenes Vergnügen. Und wenn wir dabei alle ins Verderben stürzen. Er würde nicht einmal den Blick von den Beinen wenden, zwischen denen er gerade liegt.«
Miranda fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg – bestimmt ein reizvoller Kontrast zum Alabasterweiß der korinthischen Säule, neben
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