Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
des uralten angelsächsischen Heldenepos. Und es hieß, dass ihr Exemplar sich in einem besseren Zustand befinde als das im Museum gehütete. Außerdem munkelte man, sie gewähre nur ausgewählten Menschen Zutritt zu ihren Privaträumen.
Miranda hörte, wie der Kutscher das Gespann antrieb und die Räder zu rollen begannen. Nervös ballte sie die Hände, doch dann zog Downing die Jalousien hoch, und helles Licht verscheuchte die Schatten.
»Warum? Das sagte ich bereits. Ich will vielleicht einige Bücher erwerben, und Sie sollen mich beraten.«
In geschmeidigem Rhythmus trabten die Pferde dahin, und Miranda spürte nichts von dem befürchteten Rütteln und Poltern.
»Von Literatur verstehen Sie ebenso viel wie ich, Mylord. Das haben Sie hinreichend bewiesen.«
»Nur weil ich Rousseau von Homer unterscheiden kann, bedeutet das noch lange nicht, dass ich das richtige Gespür besitze.«
Er hatte unrecht, doch sie ließ es dabei bewenden, widersprach nicht erneut. Stattdessen lehnte sie sich zurück und versuchte das sanfte Schaukeln der Kutsche zu genießen, fühlte sich fast wie ein Kind, das von liebevoller Hand gewiegt wurde. Welch ein Unterschied zu dem elenden Gepolter der Mietdroschken, die sie manchmal benutzen musste … Wenn deren Räder über das Kopfsteinpflaster holperten, wurde ihr meistens übel.
Vielleicht half es ihr ja, in dieser Kutsche ihre Angst vor Wagenfahrten zu überwinden. Das musste sie, wenn sie jemals ihren Traum von einer Europareise verwirklichen wollte, die sie eigentlich schon früher, mit ihrer Familie, hätte machen sollen.
Was mochte es wohl kosten, eine solch elegante Kutsche zu mieten, schoss es ihr durch den Kopf. Jedenfalls mehr, als sie sich jemals würde leisten können.
Fast unmerklich rollte der Wagen aus, als der Kutscher die Pferde zügelte. Miranda schaute aus dem Fenster, erkannte Lady Bannings Haus, und ihre Nervosität kehrte zurück. »Was soll ich tun, während Sie mit der Countess oder sonst jemandem reden, Mylord?«
Sie war schließlich weder eine Angestellte noch ein Mitglied seiner Gesellschaftsschicht. In der Welt, die sie nun betreten würde, konnte sie sich nur deplatziert fühlen. Wie sollte sie sich verhalten? Unterwürfig wie eine Art weiblicher Kammerdiener oder selbstbewusst wie eine Expertin für Literatur? Über solche Gedanken hätte sie in einer weniger beängstigenden Situation bloß gelacht.
»Sonst jemand klingt ziemlich vage«, meinte Downing, nachdem sie aus der Kutsche gestiegen waren.
»Ganz egal, mit welcher Person Sie sprechen – sie wird weit über meinem Rang stehen.«
»Und wenn schon? Reden Sie einfach mit. Sie nehmen doch sonst auch kein Blatt vor den Mund – zumindest ich kann mich Ihrer scharfen, vorlauten Zunge kaum erwehren.«
Das klang ja fast, als sei sie eine Gouvernante, die einem ungezogenen Schützling eine Tracht Prügel verpasste, dachte sie. Aber nicht einmal die Vision eines Lords, der übers Knie gelegt wurde, brachte sie zum Lachen. »Im Ernst, was soll ich tun?«
»Wie ich schon sagte – beteiligen Sie sich an der Konversation.«
»Sind Sie verrückt?«
»Im Moment nicht.«
»Sie werden mich … doch niemandem vorstellen?«, fragte Miranda und berührte eine geflickte Stelle an ihrem Rock.
»Eine Verkäuferin von niedrigem Stand? Niemals!«
Ob er scherzte, ließ sein Tonfall nicht wirklich erkennen. Jedenfalls ärgerte sie sich, und das war absurd. Weil er ständig mit ihr flirtete, bildete sie sich inzwischen viel zu viel ein.
Auf dem Weg durch die prachtvolle Eingangshalle sah Miranda ihre Ahnungen bestätigt. Lady Bannings Haushalt wirkte tatsächlich einschüchternd. Sogar die Dienstboten stolzierten wie Aristokraten umher. Dagegen wirkte das Personal im Haus des Viscount ja geradezu schlicht. Die Lakaien hier rümpften ständig die Nasen, als würden sie irgendwo Pferdemist riechen. Vermutlich bei ihr.
Sie waren nicht die einzigen Besucher, die in dem weitläufigen, von Säulen gesäumten Raum standen. Downing deutete auf eine angenehm leere Ecke, und dankbar folgte sie ihm. Sobald sie ihr Ziel erreichten, versteckte sie sich hinter einer Säule – ein günstiger Platz, um alles zu beobachten. Der Viscount schaute sie an und öffnete den Mund – gewiss, um einen bissigen Kommentar abzugeben.
Dazu kam er nicht mehr, denn eine Dame in grellem Pfauenblau rauschte heran, berührte seinen Ärmel und bemühte sich um einen koketten Augenaufschlag. »Downing! Fast eine Woche lang habe ich Sie nicht
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