Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
Märchenschloss.
Als sie die verschwenderisch ausgestattete Eingangshalle betraten, bewies ihr nur Georgettes Hand auf ihrem Arm, dass sie nicht träumte. Allzu viele Gäste waren noch nicht versammelt, denn die meisten zogen es offenbar vor, mit nobler Verspätung einzutreffen. Die bereits Anwesenden allerdings sicherten sich die besten Plätze – solche, wo sie garantiert nicht übersehen werden konnten.
In den Kostümen verwischten sich alle Standesunterschiede, dachte Miranda. Man wusste nicht, ob man eine Duchess oder eine Schauspielerin vor sich sah, einen Aristokraten oder einen Tanzlehrer.
Wochenlang würden in den Zeitungen Geschichten erscheinen, wer wen mitgebracht hatte. Über nicht ganz so feine Gäste, die sich unter die Hoheiten mischten, oder über eine Countess, die unwissentlich von ihrem eigenen Gemahl verführt worden war. Auf den ersten Blick aber wurde niemand identifiziert, weshalb die beiden Freundinnen das Spektakel unbeschwert genießen konnten.
Sobald sie in den Ballsaal schlenderten, zogen sie zahlreiche Blicke auf sich. Georgette sah in ihrem majestätischen grünen Kleid, das ihre recht kurvenreiche Figur betonte, zauberhaft aus. Und Miranda durfte ebenfalls mit der neuesten Kreation von Madame Galland sehr zufrieden sein.
Immer mehr Leute strömten jetzt in den riesigen Saal, bildeten Gruppen – je nachdem, ob sie sehen oder gesehen werden wollten. Neugierig wurden alle Neuankömmlinge gemustert, und man versuchte anhand der Körperhaltung oder des Gangs herauszufinden, wer sich hinter welcher Maske verbarg.
Georgette konnte vor lauter Aufregung kaum atmen. Ständig raunte sie ihrer Freundin Kommentare oder Spekulationen über neu eintreffende Gäste zu. Im immer dichter werdenden Gedränge tummelten sich Göttinnen, Hofnarren, Kobolde, historische Charaktere und finstere Schurken.
Nur Downing konnten sie nicht entdecken.
Plötzlich schwoll das Stimmengewirr an. Eine Frau erschien am Arm eines dunkelhaarigen Mannes. Nur mühsam widerstand Georgette der Versuchung, sich auf die Zehenspitzen zu stellen. »Wer ist das?«, wisperte sie.
Miranda, die freiere Sicht hatte, musterte eine Julia, die an Romeos Seite heiter zu lächeln versuchte. Doch ihr Körper verriet, dass sie sehr angespannt war. »Die Marchioness of Werston.«
»Tatsächlich?« Georgette reckte unauffällig den Hals. »Und wer ist Romeo?«
Miranda zuckte die Achseln und beobachtete den Mann, der jetzt demonstrativ seine Maske abnahm. »Das müsstest du besser wissen als ich, so viel wie du über die Leute liest.« Sie selbst fragte sich unwillkürlich, ob sie heute vielleicht wieder für eine Ablenkung herhalten musste, schalt sich jedoch sofort wegen dieser boshaften Unterstellung.
»Also, Werston hat wirklich Nerven«, hörte sie eine Frau in ihrer Nähe murmeln.
Miranda blinzelte und inspizierte den Mann interessiert. Downings Vater. Sehr attraktiv. Und er zeigte sich zusammen mit seiner Frau – in der Maske eines vom Schicksal verdammten Liebespaars. War das nicht eigentlich ein größerer Skandal, als wenn sie getrennt erschienen wären? Offenbar dachten die anderen genauso, denn ringsum brachen lebhafte Diskussionen aus.
Miranda indes hatte nur noch Augen für die schwarze Gestalt, die dem Paar in einigem Abstand folgte. Eine Hand in der Hosentasche, in der anderen ein Glas, schaute er sich scheinbar gelangweilt um. Bis sein Blick an ihr hängen blieb und ein warmes Lächeln sein Gesicht überzog.
»Ach, du meine Güte, ich muss meinen Neid zügeln. Wie er dich anschaut …« Georgette fächelte sich Kühlung zu. »Und er kommt auf uns zu.« Zur Flucht bereit, raffte sie ihre Röcke.
»Was tust du?«, zischte Miranda.
»Nun, ich überlasse dich deinem Schurken, Liebes«, kicherte Georgette boshaft, »und suche mir einen edlen Ritter.«
Und dann eilte das Mädchen, das sie eben noch für ihre Freundin gehalten hatte, davon und lieferte sie der lockenden Gefahr aus, die sich unaufhaltsam näherte.
Downing blieb vor ihr stehen, seine Augen liebkosten ihr Gesicht, und jenes gefährliche Feuer erfüllte wieder ihren ganzen Körper.
»Guten Abend, Mylord«, flüsterte sie und nahm die Walzerklänge kaum wahr, die vom Orchesterpodium herüberwehten.
Höflich beugte er sich über ihre Hand. »Darf ich um den ersten Tanz bitten?«
»Ja.« Und um jeden Tanz danach, antwortete ihr Herz.
Während er sie über das Parkett wirbelte, verschwammen die Gesichter der Gäste zu einer formlosen Masse, und das
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