Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
berufstätigen Frauen. Deshalb überrascht mich der Entschluss des Viscount.«
»Netter Gentleman. Und er liebt Bücher.«
»Gewiss … Hat er vielleicht sonst irgendetwas Besonderes gesagt?«
»Nur dass er jemanden braucht, der sich mit Shakespeare und Sonetten auskennt. Da wusste ich’s endgültig. Die Wahl musste auf dich fallen. Und er war sofort einverstanden. Wirklich sehr nett, dieser Lord.«
Das Surren in Mirandas Kopf schwoll zum Rauschen an, erinnerte sie an die aufgewühlte See, die sie früher mit den Eltern oft besucht hatte. Hastig entschuldigte sie sich und rannte nach oben in ihr Zimmer, setzte sich auf ihr Bett. Dann griff sie nach der Kassette, die ihre Papiere enthielt, und wühlte darin, bis sie die gesammelten Zeitungsausschnitte aus der Daily Mill fand, studierte mit zusammengekniffenen Augen erneut jenen Artikel, der sie zu einem Leserbrief veranlasst hatte.
Ich verstehe die Hysterie nicht, die von diesem miserablen Machwerk ausgelöst wird. Warum begeistert sich ganz London für blödsinnige Ratschläge, die der Verführung des jeweils anderen Geschlechts dienen sollen? Hat denn niemand etwas Vernünftigeres über dieses Geschwätz zu sagen als sentimentale Lobhudeleien? Wie diese verrückte Schwärmerei beweist, ist unsere Gesellschaft in erotischer Hinsicht dermaßen ausgehungert, dass sie ein Buch über die Verführung den erhabenen alten Sonetten vorzieht.
Warum hatte sie nicht schon längst daran gedacht? Das Gespräch über Sonette bei ihrer ersten Begegnung mit Downing, sein Hinweis auf Shakespeare, seine Verachtung des anstößigen Machwerks über die Verführung … Hatte er gehofft, sie würde wissen, wer er war?
Sie suchte einige Briefe heraus.
Liebe M. Chase, Sie gleichen einem Sonnenstrahl …
Liebe Miss Chase, so ungeduldig habe ich Ihre Antwort erwartet …
Liebe Miss Chase, halten Sie wirklich so viel von diesem elenden Gefasel? Und wie würden Sie ein klassisches Werk definieren?
Liebe Chase, wie ich zugeben muss, waren Sie anfangs eine amüsante Abwechslung. Jetzt faszinieren Sie mich …
Da sie sich ziemlich genaue Vorstellungen von Mr. Pitts gemacht hatte, war sie gar nicht auf die Idee gekommen, er könnte die Buchhandlung in der Maske eines anderen betreten. Schon gar nicht als Viscount getarnt …
Nein, das stimmte ja nicht – wenn sie recht hatte, war Mr. Pitts die Tarnung. Verstört biss Miranda sich auf ihre Lippe. Mr. Pitts war für sie real. Und Downing auch. Niemals hätte sie vermutet, die beiden könnten ein und derselbe sein. Bis sie auf dem Maskenball der Hannings, in der sinnlichen Schwüle eines dunklen Nebenzimmers, so machtvoll durch seinen Beinaheversprecher darauf gestoßen worden war. Chase oder Charlotte ?
Musste sie sich Vorwürfe machen? Weil ihr nie in den Sinn gekommen war, auch ein Viscount könnte Briefe in diesem bissig-geistreichen Stil schreiben und Gefallen an einer lebhaften Korrespondenz finden? Weil es ihr unmöglich erschienen war, ein so attraktiver Mann wie er würde mit der Feder umzugehen wissen?
Und dass er eine Romanze mit ihr anstrebte, damit hätte sie sowieso nicht gerechnet. Seit wie lange hatte er das überhaupt alles eingefädelt?
Und dann fiel ihr das Schlimmste ein. Der Mann, dem sie brieflich alle ihre Gefühle gestanden hatte, war vermutlich derselbe, um den es bei diesen Geständnissen ging.
Oh, das würde er ihr büßen!
Ihr Vertrauter und intellektueller Freund, der so viel über sie wusste, war derselbe Mann, der noch viel mehr von ihr kannte, nur eben auf andere Art und Weise. Er hatte sie aufgespürt, die Verführung methodisch geplant, von Anfang an gewusst, dass sie die Brieffreundin war.
Warum sie?
Warum eigentlich nicht, würde Georgette sagen. Und zumindest für die Rolle der Seelenfreundin taugte sie ja. Blieb eigentlich bloß die Frage, warum er auf diese Weise an sie herangetreten war und was er sich von diesem Spiel versprach. Wozu die raffinierte Scharade, die Farce im Shakespeare-Stil?
Seine Motive konnte sie zwar nicht ergründen, doch immerhin verstand sie im Nachhinein andere Dinge, die ihr zuvor rätselhaft erschienen waren – sein sprunghaftes Verhalten, seine zweideutige Ausdrucksweise insbesondere. Wenn man alles zusammennahm, entstand aus zwei Persönlichkeiten das Bild einer einzigen.
Aber warum hatte er ihr nicht reinen Wein eingeschenkt, wer sich hinter dem Pseudonym Mr. Pitts verbarg? Um anonym zu bleiben, um sicherzustellen, dass sein blendendes Aussehen keine Rolle
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