Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
spielte? Um sich öffnen zu können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen? Ja, vermutlich. Ähnliches hatte sie ebenfalls an dieser Korrespondenz geschätzt, denn die Anonymität des Briefpartners ermöglichte ein Gefühl von Freiheit. Alles hatte sie dem angeblichen Mr. Pitts offenbart. Alle ihre Gefühle und Gedanken, die ihn selbst betrafen, und in anderer Gestalt war er zur Tat geschritten. Ihre Kehle verengte sich.
Verdammter Schurke.
Wundervoller Mann.
Miranda atmete tief durch und überlegte, was sie mit ihrem neuen Wissen anfangen sollte. Sie blätterte erneut in ihren Papieren, wollte einen Plan schmieden, um es ihm heimzuzahlen und ihn ihre Macht spüren zu lassen. Für eine Weile zumindest.
Andere Briefe fielen ihr in die Hände. Von Eleutherios. Schöne, lyrische Zeilen. Warum verachtete Downing diesen Autor bloß so sehr? Nachdenklich betrachtete sie ein Pergament mit einem Sonett. Sah Maximilian seine verführerischen Absichten gefährdet? Witterte er einen Rivalen in Eleutherios?
Plötzlich fiel ihr sein Gespräch mit seinem Bruder Colin ein. Möchtest du unsere angeblich leeren Kassen mit deinen Einkünften als erfolgreicher Literat füllen? Planst du deine melancholischen Memoiren zu verkaufen?
Und da war zudem eine abschätzige Äußerung über den jüngeren Landry gewesen … Niemals wird man ihn mit Sonetten in der Hand antreffen, die er nicht selbst verfasst hat.
War Colin etwa Eleutherios? Zumindest sah er so aus, wie alle sich den Dichter vorstellten. Wie ein junger Byron eben. Aber würde der ernsthafte, auf Konventionen und Moral bedachte Colin ein Buch über die Verführung schreiben? Schwer zu glauben.
Andererseits wäre es eine Erklärung für Downings unbarmherzige und ungerechtfertigte Abneigung, denn offenbar stand er mit Colin nicht auf allzu gutem Fuß. Nur: Der verkleidete Eleutherios vom Maskenball war Colin mit Sicherheit nicht. Aber da gab es doch noch einen jüngeren Bruder – Conrad, wenn sie sich recht erinnerte –, angeblich ein munterer Hansdampf in allen Gassen. Vielleicht wollte der sich einen Scherz erlauben, was wiederum Downings Ärger über den jungen Burschen plausibler machen würde.
Im Licht dieser Erkenntnis dachte Miranda noch einmal an die Begegnung beim Maskenball. Es konnte gar nicht anders sein, als dass es sich um den jüngsten Landry gehandelt hatte. Downing war irritiert gewesen. Extrem irritiert. Und es hatte ihm ganz und gar nicht gepasst, dass Miranda das Gespräch mit dem falschen Autor amüsant fand.
Sogar eifersüchtig war er ihr erschienen.
Erneut betrachtete sie die Briefe und das Sonett. Neuerdings schienen Sonette überaus beliebt zu sein. So viele Leute verfassten selbst welche … wie Colin. Maximilian etwa auch?
Nein, ein dummer Gedanke, wenn sie an die verbalen Giftpfeile dachte, die er als Mr. Pitts auf Eleutherios abfeuerte. Würde jemand sich selbst dermaßen verunglimpfen?
Geltungssüchtiger Schwätzer …
Und doch … Mit kritischem Blick überflog sie die Briefe des einen und des anderen. Ähnliche Redewendungen, im einen Fall ätzend, im anderen poetisch. Gelegentlich allerdings stellte ein leiser, dunkler Unterton in Eleutherios’ Worten einen vagen verbindenden Hinweis dar.
Eine weitere Frage drängte sich auf. Wusste jemand aus der Familie darüber Bescheid? Dass der nächste Marquess of Werston sich unter falschem Namen an literarischen Debatten beteiligte? Eher nein. Bloß dass der jüngste Spross als Eleutherios beim Maskenball auftauchen würde, das schien zumindest dem Vater bekannt gewesen zu sein.
Stöhnend wischte sie ihre Stirn mit einem Taschentuch, als ließen sich so die unsinnigen Gedanken verscheuchen. Was war mit den Handschriften? Ja, natürlich. Erleichtert lachte sie auf. Doch das befreiende Gefühl wirkte nicht lange. Gut möglich, dass Downing einen seiner Diener mit der Niederschrift der Briefe betraut hatte.
Denen von Eleutherios oder denen von Mr. Pitts?
Aber war es wirklich denkbar, dass Maximilian Landry, Viscount Downing, zusätzlich zwei erdachte Personen verkörperte? Einen Schriftsteller und einen Kritiker? Und beide wurden zu ihren Brieffreunden? Von einem Dämon zu ihr geschickt, um sie zu betören?
Beklommen studierte sie die Briefe. Musste sie etwa davon ausgehen, dass im Laufe des letzten halben Jahres drei Männer gleichzeitig ihr Herz bewegt hatten? Oder ein einziger in dreierlei Gestalt?
Ihre Gefühle für jeden Einzelnen wirbelten durcheinander und drehten sich
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