Süß ist die Angst
werden das irgendwie klammern müssen. Aber zuerst muss ich die Blutung stoppen.« Sie legte ein neues Stück Mullbinde auf die Wunde und drückte zu.
Er sog scharf die Luft ein, aber der Schmerz klärte seine Gedanken.
»Und? Erzählst du mir jetzt, was diese Geschichte eigentlich soll?«
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6
M arc überlegte, was er antworten sollte. Sophie verdiente eine Erklärung. Sie hatte es verdient zu erfahren, warum er ausgerechnet sie als Geisel genommen hatte und mit ihm den schlimmsten Tag ihres Lebens verbringen musste. Aber sie war Reporterin. Alles, was er ihr sagte, würde an die Polizei weitergeleitet werden – und an die Presse. Je weniger sie wusste, umso besser für Megan und Emily.
»Ich nehme an, dass die ganze Geschichte etwas mit Megan zu tun hat, wenigstens hoffe ich das.« Sie hob den Zellstoff an, um zu sehen, inwieweit die Blutung gestoppt war, drückte dann jedoch wieder zu. »Es würde mich ein wenig ärgern, wenn du das alles aus einer Art Lagerkoller heraus initiiert hättest und nur noch einmal ordentlich einen draufmachen wolltest.«
Er wandte sich zu ihr um, sah die dunklen Ringe unter den Augen, die Prellungen, sah die Erschöpfung in ihren Zügen und auch die Angst, die sie noch immer nicht losgelassen hatte. Er war die Ursache für all das.
»Du glaubst, ich mache das aus Spaß?«
»Gib mir einen vernünftigen Grund … Ach, Moment. Du hast einen, aber wenn du ihn mir sagst, musst du mich töten, richtig?«
Er zögerte.
»Megan ist vor jemandem weggelaufen, Sophie.«
»Ja. Zum Beispiel vor dem Sozialamt und der Polizei.«
»Nein, ich meine, dass sie wirklich auf der Flucht ist – sie läuft um ihr Leben. Und sie braucht meine Hilfe.«
»Halt mal fest.« Sophie nahm seine Hand, legte sie auf den Mullverband und holte dann eine Schere aus dem Erste-Hilfe-Kasten, mit der sie das Klebeband in kleine Streifen schnitt. »Wer sollte Megan denn etwas antun wollen?«
»Wenn ich das wüsste, wäre er tot.«
Es war die Wahrheit, und nicht einmal Sophies schockierte Miene konnte daran etwas ändern.
»Das mit dem Töten siehst du ziemlich locker, was?«
Sie klebte die einzelnen Streifen an die Tischkante. »John Cross hast du dreimal aus kürzester Entfernung in die Brust geschossen. War das nicht ein bisschen übertrieben, hm?«
Marc ignorierte den Sarkasmus in ihrer Stimme.
»Er hat Megan vergewaltigt.«
Sie verharrte mitten in der Bewegung und starrte ihn an. »Was?!«
»Versprich mir, dass das nicht in deiner Zeitung erscheint.«
Sie zögerte.
»Okay.«
»Er hat Megan wiederholt vergewaltigt, als sie im Jugendgefängnis in Denver saß. Er war dort Wachmann. Sie war erst fünfzehn. Wenn ich recht habe, läuft sie vor dem Mann weg, der damals dabei war, seinem Komplizen.«
Einen Augenblick lang betrachtete Sophie ihn schweigend, schien ihn abzuschätzen, dann legte sie die Schere weg.
»Heb die Mullbinde an.«
Marc gehorchte und sah, dass die Blutung zu einem dünnen Rinnsal abgeebbt war.
»Das wird wahrscheinlich weh tun.« Sie drückte die Ränder der Wunde zusammen und fixierte sie mit den Klebestreifen.
Es tat weh, aber ihre Nähe war wie eine Droge.
»Nicht so schlimm.«
»Steril ist es nicht, aber ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Wenn du sie sauber hältst und jeden Tag desinfizierst …« Er sah echte Sorge in ihrem Blick. Nach allem, was er ihr heute angetan hatte, hatte er das nicht verdient.
»Es wird schon gutgehen.«
Sie beendete ihre Aufgabe mit raschen Handgriffen, schützte die provisorisch geklammerte Wunde mit Mull und befestigte diesen ebenfalls mit Klebeband.
»Das müsste ein Weilchen halten.«
Marc streckte den Arm und rollte die Schulter. Der Verband hielt.
»Danke.«
»Wenn du glaubst, dass Megan in Gefahr ist, warum hast du es dann nicht dem DOC gesagt, damit sie sich an die Polizei wenden?« Sie zupfte die Latexhandschuhe von den Fingern und warf sie in eine Ecke.
Er schnaubte.
»Komm schon, Sophie. Du weißt sehr gut, dass das gar nichts bringt. Selbst wenn mir jemand in der Gefängnisverwaltung geglaubt hätte, denkst du wirklich, man hätte der Polizei gesagt, man habe einen Bösewicht in den eigenen Reihen? Zumal ich nicht einmal weiß, wer es ist. Es kann durchaus sein, dass der betreffende Mistkerl noch immer dort arbeitet. Ich werde ihm nicht verraten, was ich weiß, oder ihn sogar auf Megans Spur bringen.«
»Du weißt, wo Megan ist?«
»Nein.«
Plötzlich schwankte sie.
»Oh.«
Marc packte sie um die
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