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Süß ist die Angst

Süß ist die Angst

Titel: Süß ist die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Clare
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menschlichen Verstands auf die echte Welt nach sechs Jahren in einer geschlossenen Einrichtung. Jahrelang war er in einer kleinen Zelle eingesperrt gewesen. Nun ging er über offene Straßen durch brausenden Verkehr und wurde permanent von einer Flut von Eindrücken, Geräuschen und Gerüchen bestürmt. Er hätte eigentlich in Hochstimmung sein müssen. Stattdessen war er angespannt, fühlte sich entblößt und verwundbar und sah überall Gefahren.
    Er hörte seinen und Sophies Namen und wusste, dass CNN die wenigen Neuigkeiten, die es gab, noch einmal aufkochte. »Nummer siebzehn. Ganz hinten am Ende.« Der Mann schob ihm den Schlüssel über den Tresen. »Ob sie den Mistkerl kriegen?«
    Marc warf wie beiläufig einen Blick über seine Schulter und sah sein eigenes Gesicht. Einziger Unterschied zu dem Mann auf dem Bildschirm war der fehlende Bart und die Skimütze, die er über seinen Pferdeschwanz gezogen hatte.
    »Keine Ahnung. Was denken Sie?«
    »Der ist garantiert schon über die Grenze. Wahrscheinlich auf dem Weg nach Mexiko.«
    »Wahrscheinlich. Und danke.« Marc nahm den Schlüssel und kehrte zurück in die Kälte. Mit gesenktem Kopf trottete er über den verschneiten Parkplatz in Richtung Nummer siebzehn.
    Er war heute Morgen mit dem Bus von Nederland nach Boulder gekommen und hatte sofort die Lagerraumvermietung angesteuert. Er war das letzte Mal kurz nach seiner Verhaftung hier gewesen. Damals, noch auf Kaution auf freiem Fuß, war ihm klar gewesen, dass er wahrscheinlich in den Knast wandern würde. Der Ausgang des Falles, den die Staatsanwaltschaft mit Hilfe der Presse aufbauschte – böser Agent wird mit Drogen erwischt, dreht durch, erschießt guten Agent –, schien bombensicher, und jeder Instinkt in ihm hatte ihm befohlen, mit Megan so schnell wie möglich zur Grenze zu flüchten. Einen regnerischen Nachmittag hatte er damit verbracht, alles zusammenzupacken, was Bundesagenten und Polizei nicht konfiziert hatten, Kleidung, Bargeld, einen falschen Führerschein aus einer verdeckten Ermittlung, und das Zeug einzulagern, nur für den Fall, dass er schnell in Richtung Süden flüchten musste. Er hatte den Lagerraum unter dem Namen seiner Mutter gemietet und zehn Jahre im Voraus bezahlt.
    Aber er hatte auch gewusst, dass es wie ein Schuldeingeständnis ausgesehen hätte, wenn er sich auf den Weg nach Mexiko gemacht hätte. Und hätte man Megan bei ihm erwischt, wenn sie die Grenze zu überqueren versucht hätten, wäre auch seine Halbschwester in diesen Alptraum hineingezogen worden. Also hatte er nicht auf seine Instinkte gehört, war in Denver geblieben und hatte gehofft, dass die Geschworenen ihn freisprechen würden.
    Was für ein dämlicher Vollidiot er gewesen war.
    Wenigstens hatte er so viel kluge Voraussicht besessen, um dieses geheime kleine Lager einzurichten. Heute war es ihm jedenfalls verdammt nützlich gewesen. Nachdem er ein paar Stunden auf dem Betonboden des Raums geschlafen hatte, war er mit dem Bus in die Stadt gefahren und hierhergekommen. Das schmierige Motel am Stadtrand bot alles, was er momentan brauchte: einen Schlafplatz, eine Dusche, Nachbarn, die keine Fragen stellten, und eine Wochenmiete, die tragbar war.
    Er steckte den Schlüssel ins Schloss, als die Tür nebenan sich öffnete und eine junge Frau mit gebleichten Haaren heraustrat. Sie trug einen Kaninchenfellmantel, enge Jeans und kniehohe Lederstiefel. Er musste nicht erst fragen, womit sie ihr Geld verdiente.
    Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß, und ihre hellrot bemalten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
    »Du siehst zum Anbeißen aus, Süßer. Bei dir könnte ich es sogar umsonst machen.«
    Marc erwiderte das Lächeln und beobachtete ihren attraktiven Hintern, als sie an ihm vorbeiging. Vor ein paar Tagen hätte er das Angebot nur zu gerne angenommen, ja, zum Teufel, er hätte auch dafür gezahlt. Aber obwohl er spürte, wie er hart wurde, erkannte er, dass er sie nicht wirklich wollte – weder umsonst noch gekauft.
    Er wollte Sophie.
    Und die wirst du nie wiedersehen, du Idiot. Nimm, was du kriegen kannst, bevor sie dich wieder einbuchten und du dir sehnlichst wünschst, du hättest es getan.
    Okay, hier sprach sein Schwanz.
    Dummerweise hatte der vermutlich recht.
    Er drückte die Tür auf und betrat sein Zimmer. Er schaltete das Licht ein und schloss hinter sich ab. Es roch nach abgestandenem Zigarettenrauch und Schimmel, und eine einzige nackte Glühbirne baumelte von der mit Wasserflecken übersäten

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