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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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und galoppierte in einem großen Bogen in die Richtung, aus der er gekommen war. Die belgischen Soldaten waren weiter mit ihren hochrangigen Gefangenen beschäftigt und sahen ihn erst ein paar Sekunden später. Schon pfiffen die Kugeln ihm um die Ohren. Ludwig hatte keine Ahnung, wohin genau er galoppierte und wo seine Kameraden waren, sofern sie noch lebten. Er ließ sich von seinem Instinkt leiten, der nur ein Ziel kannte: Deckung finden, den Verfolgern entkommen.
    In einem nahen Wald blieb das Pferd außer Atem und schwankend vor Erschöpfung ohne Aufforderung stehen. Der Schweiß triefte ihm von den Flanken. Mit Mühe stieg Ludwig ab. Er löste den Gurt des Sattels und band das Tier an einem Baum fest. Jeder Zentimeter seines Körpers schmerzte. Er zwang sich, ruhig zu bleiben, und tastete seine Glieder ab. Anscheinend war nichts gebrochen, er hatte nur Prellungen erlitten. Auch Blut war keines zu sehen. Verwirrt und ratlos legte er sich auf denfeuchten Waldboden und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. »Karoline«, murmelte er, »du hast mich nicht verloren. Jetzt muss ich nur sehen, dass ich nach Hause komme.«
    Ludwig wusste zwar, dass er keinesfalls auf feindlichem Gebiet einschlafen durfte, aber er war so erschöpft, dass er einnickte. Sein Schlaf war unruhig, voller Albträume, durch die sein Vater zu geistern schien. Nach kurzer Zeit fuhr er hoch und sprang auf. Es war dunkel geworden. Er spürte brennenden Durst. Seit dem Morgengrauen war kein Tropfen Wasser an seine Lippen gelangt. Er fühlte sich nach all der Aufregung, Angst und körperlichen Anstrengung regelrecht ausgetrocknet. Seine Zunge schien geschwollen zu sein wie die eines Elefanten. ›Wenn ich nicht trinke, sterbe ich noch im Laufe dieser Nacht.‹ Unter heftigen Schmerzen zurrte er den Sattelgurt wieder fest, band das Pferd los, stieg schwerfällig in den Sattel, zog die Zügel kurz an und ließ sie dann locker.
    Das Pferd zögerte einen Moment, bevor es sich scheinbar ziellos in Bewegung setzte. Ein paar Minuten später blieb es schnuppernd an einer kleinen Quelle stehen. Ludwig vergaß seine Prellungen, sprang aus dem Sattel, warf sich auf den Boden und trank in langen Zügen. Dank der Reiterinstinkte, die er von Jugend auf entwickelt hatte, hielt er die Zügel fest, weil sonst das Pferd einfach weitergelaufen wäre.
    Als es den Widerstand des Zügels spürte, blieb das Pferd stehen, und Ludwig hievte sich zurück in den Sattel. Auch jetzt zog er die Zügel kurz an und ließ sie gleich darauf wieder locker. Das Pferd machte sich gemächlich, mit lang gestrecktem Hals auf den Weg. Ludwig saß im Vertrauen auf den Instinkt des Tieres entspannt im Sattel und musste nur aufpassen, dass er nicht einnickte und herunterfiel. Nachdem er so stundenlang durch die Dunkelheit geritten war, gelangte er aus dem Wald ins Freie. Am Horizont sah Ludwig im ersten Morgengrauen das Ausgangsbiwak seines Regiments, das er vor zwei Tagen verlassen hatte.
    Nach und nach trafen die versprengten Reste des geschlagenen Regiments ein. Keiner der Offiziere, die Ludwig kannte, kam aus der Schlacht zurück. Von Tausenden Reitersoldaten waren nicht einmal hundert Mann geblieben. Die Zahl der Pferde, die den Weg zurückgefunden hatten, war höher, doch ebenfalls drastisch reduziert.
    Geschlagen traten die Truppen den Rückzug zum Hauptquartier an. Auch Ludwig und eine Gruppe von Kameraden, die mehr oder weniger unverletzt geblieben waren, machten sich nach kurzer Ruhepause zu Fuß auf den Weg und führten die wenigen verbliebenen Pferde am Zügel.
    Die Verwundeten wurden auf Karren, die man bei den Bauern beschlagnahmt hatte, in Feldlazarette gebracht. Als einer der Karren an ihm vorbeifuhr, weckte ein bewusstloser Soldat Ludwigs Aufmerksamkeit. Ihm fehlte ein Arm, das Kinn war zerschossen. Erst auf den zweiten Blick erkannte er in dem Schwerverletzten den Feldwebel, der sich über den jüdischen General Bernheim lustig gemacht hatte. Für einen Moment war Ludwig in Versuchung, dem verletzten Feldwebel eine sarkastische Bemerkung ins Gesicht zu schleudern, doch dann überkam ihn das Mitleid …
    Im Hauptquartier herrschte Verwirrung und Niedergeschlagenheit. Fast alle Kavallerieregimenter, die an dem Angriff teilgenommen hatten, waren an einem Tag beinahe vollständig aufgerieben worden. Der gleichzeitige Sturmangriff der Infanterie hatte kaum mehr Erfolg gehabt. Von einem Durchbruch an der belgischen Front konnte keine Rede sein.
    Ludwig hatte keine Ahnung, zu welcher

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