Suess und ehrenvoll
Einheit er nun gehörte und was von ihm erwartet wurde, bis er wie alle anderen kampffähigen Soldaten zu einem improvisierten Armeebüro in einer Baracke gerufen wurde. Ludwig erfuhr, dass er nicht nur in eine andere Einheit versetzt, sondern auch einer anderenWaffengattung zugeteilt wurde. Von nun an würde er als Infanterist an der französischen Front kämpfen.
Meine geliebte Karoline,
dass ich Dir noch vor wenigen Tagen geschrieben habe, ist kaum zu glauben. Mir ist, als läge mein letzter Brief Jahre zurück. Inzwischen habe ich mehr erlebt, als ich begreifen und wohl auch verkraften kann. In meinem vorigen Brief schrieb ich Dir glücklich und aufgeregt, dass es endlich an die Front geht – und nicht nur das: dass ich als Kavalleriesoldat des Kaisers in den Krieg ziehe. Jetzt sieht alles anders aus. Wo ist der Soldat, der fest mit einem Sieg rechnete? Der unsere ruhmreiche Kavallerie für unbesiegbar hielt? Ich bin nicht mehr bei der Kavallerie, und es scheint mir, dass es sie praktisch gar nicht mehr gibt. Meine Feuertaufe liegt hinter mir. Offenbar gibt es keine erfreulichen Feuertaufen. So ein Erlebnis ist vor allem ein Schock. Und wenn das auch noch in einer Niederlage endet, wird der ganze Mensch von Grund auf erschüttert. Nein, Liebste, ich habe nicht aufgehört, an Deutschland zu glauben. Ich stehe nach wie vor in unerschütterlicher Treue zu meinem Kaiser und zweifle keinen Augenblick an unserem Sieg, doch ich weiß jetzt, dass es einen abgrundtiefen Unterschied zwischen Jugendträumen und der Wirklichkeit gibt.
Natürlich wusste ich, dass eine Schlacht kein Zuckerschlecken ist, ja, dass es grauenvoll ist. Aber die Realität ist noch viel grauenhafter. Ich kann es Dir nicht beschreiben, weiß selbst noch nicht, was ich fühle.
Der Traum, meinem Kaiser hoch zu Ross zu dienen – aus und vorbei! Die Kavallerie hat ausgespielt. Im modernen Krieg ist sie überflüssig, ein Anachronismus. Wir Reitersoldaten sind nur mehr alberne Don-Quichotte-Figuren. Mein Regiment wurde an einem einzigen Kampftag vernichtet und wird sich nicht wieder neu formieren. Und das gilt auch für die meisten anderen Kavallerieregimenter. Ich gehöre jetzt z ur grauen Masse der Infanteristen, einer Waffengattung, der nichts vom Glorienschein der Kavallerie anhaftet. Wie fern ist nun der Glanz, der mich geblendet hat. Ich bin Teil der Realität geworden. Des wirklichen Lebens. Das bedeutet Krieg. Und zwar einen echten Krieg, einen gerechtfertigten und unvermeidbaren Krieg, aber einen Krieg ohne falsche Romantik. Ein Krieg, der bestimmt noch lange Monate andauern wird. Ein grausiger Krieg.
In alldem ist alleine eines unverrückbar. Das ist meine Liebe zu Dir, mein Verlangen nach Dir. Und mein Glaube an Dich und an uns als Paar. Dieser Glaube an uns ist der Fels in der Brandung, der jedem seelischen Wandel und jeder Erschütterung standhält. Er erscheint mir als Wunder und er hält mich aufrecht. Er ist der schlagende Beweis dafür, dass unsere Verbindung ewig ist. Es gibt keine absolute Wahrheit, die sich damit vergleichen ließe.
Meine Geliebte, ich werde diesen Brief heute nicht fortsetzen. Was ich bis jetzt geschrieben habe, nimmt mich zu sehr mit. Ich brauche Ruhe. Ich brauche Dich und den segensreichen Einfluss, den Du auf mich hast. Meine Gefühle scheinen mir übertrieben dramatisch. Vielleicht sogar theatralisch. Ich brauche Dich, Deine Sicht der Dinge, Deine Aufmunterung.
Ich schreibe Dir noch einmal, bevor wir an die Front gehen.
Dein für immer
Ludwig
Ludwig steckte den Brief in einen Umschlag, doch da er um die Zensur wusste, schickte er ihn zunächst nicht ab. Wie würden seine Vorgesetzten, diese Feldwebel, die als Militärzensoren fungierten, auf einen solchen Brief reagieren? Über seine Gefühle für Karoline würden sie sich lustig machen, vielleicht sogar über ihn spotten. Seine Äußerungen über die Kavallerie dagegen könnten als Preisgabe von Militärgeheimnissen oder Schlimmeres aufgefasst werden. Er beschloss, Karoline den Brief bei seinem ersten Heimaturlaub in Frankfurt zu geben. Einen Tag vor dem Abmarsch zur Front holte Ludwig den Umschlag wieder hervor. Er war zum ersten Mal seit seiner Einberufung auf einen Armeerabbiner gestoßen, Dr.Anton Nobel, den Seelsorger der Garnison Frankfurt am Main. Dieser hatte sich bereit erklärt, den Brief am folgenden Tag persönlich mit nach Frankfurt zu nehmen. In fliegender Eile fügte Ludwig noch ein paar Zeilen hinzu:
Geliebte Karoline,
den
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