Suess und ehrenvoll
Sie doch beantragt, oder nicht?«
»Doch, doch«, sagte Ludwig freudestrahlend, »vielen Dank!«
Er salutierte, nahm den Marschbefehl entgegen und ging zu seiner Einheit zurück. Seine Kameraden klopften ihm in einer Mischung aus Anerkennung und Neid auf die Schultern.
Ein Lastwagen brachte Ludwig und eine Gruppe anderer Rekruten in die Ulanen-Kaserne. Alle waren Amateurreiter und ebenso erleichtert wie er über die Versetzung. Nach ihrer Ankunft wurden sie von ihren neuen Vorgesetzten mit verächtlichen Blicken gemustert. Sie schienen sich zu fragen, was dieser Haufen von Sonntagsreitern bei den Ulanen zu suchen hatte, die alle eine dreijährige Ausbildung hinter sich hatten.
In der Kaserne standen die Rekruten unter einem Druck, wie sie ihn bisher noch nicht erlebt hatten. Die Disziplin war strenger und die Ausbildung wesentlich härter. Gerade die Übungen zu Pferde und die Ausbildung für berittene Kampfeinsätze, auf die sich alle gefreut hatten, wurden zur Qual. Zwar waren sie alle ordentliche Reiter, doch das, was hier von ihnen erwartet wurde, hatte mit dem zivilen Reiten nicht viel zu tun. Letztlich waren alle überfordert. Lanze, Karabiner, Seitengewehr, Pistolen und Säbel – allein schon das Gewicht der Waffen war überwältigend. Obendrein gab es offenbar große Meinungsverschiedenheiten, wie sie überhaupt eingesetzt werden sollten.
Bereits nach einer Woche erhielten die Rekruten den Befehl, beim Quartiermeister die Ausrüstung für den Frontdienst abzuholen. Die jungen Männer tauschten erstaunte Blicke. Was, schon an die Front? Wir haben doch gerade erst mit der Ausbildung begonnen. Doch die Aufregung dämpfte alle Zweifel. Wieder leuchtete patriotische Begeisterung aus ihren Gesichtern. Auch in seinem Brief an Karoline versuchte Ludwig, seine Unsicherheit zu verdecken.
Meine geliebte Karoline,
heute Abend schreibe ich Dir keinen Liebesbrief wie in den ersten Tagen nach meiner Einberufung. Bisher habe ich es vermieden, Dir von der Armee und meinen ersten Eindrücken zu erzählen, weil ich mir selbst nicht sicher war, was ich von alldem halten soll. Der Schock der Umstellung auf das Rekrutenleben – und damit meine ich nicht nur den physischen Schock – hatte mich zutiefst verwirrt. Ununterbrochener Druck, permanenter Zeitdruck und chronische Müdigkeit haben es mir unmöglich gemacht, klare Gedanken zu formulieren. Ich sah keine Möglichkeit, Dir einleuchtend zu erklären, was ich wirklich spüre. Weiß ich es doch selbst kaum …
Sobald ich Zeit fand, stürzte ich mich wie süchtig auf ein Blatt Papier, um meine Sehnsucht und meine Liebe zu Dir in Worte zu fassen. Denn dessen war und bin ich mir sicher. Es war eine Art Pause, eine Art Blase, in die ich mich hineindrängte, um alleine mit Dir zu sein, getrennt vom Rest der Welt.
Gewiss, ich schrieb Dir, wie glücklich ich war, als ich zur Kavallerie versetzt wurde. Doch nun ist alles anders. Die Armee, die Einberufung, der Dienst an der Front, all das war mein höchstes Ziel, seit der Krieg ausgebrochen ist. Das weiß niemand besser als Du. Du warst nicht gerade begeistert von meinem überschwänglichen Patriotismus, doch Du hast stets Verständnis für meine Gefühle aufgebracht. Und jetzt beginnt f ür mich die wahre Prüfung. Keine Träume mehr und keine romantischen Illusionen. Morgen geht es an die Front. Nicht zu Übungen, sondern direkt ins Feuer. Was fühle ich in diesem Augenblick? Ich weiß es nicht. Bin ich glücklich? Ich würde eher sagen: aufgeregt. Ist es die Aufregung über die erhabene Aufgabe, die mir auferlegt ist? Freilich, aber nicht nur das.
Hier kennt die patriotische Begeisterung keine Grenzen, doch man hört keinen Jubel und keine Freudenrufe. Meine Kameraden sind still und in sich gekehrt. Fast scheint es mir verdächtig, mit welchem Ernst und welcher Hingabe sie sich auf den morgigen Tag vorbereiten. Ist es Angst? Habe auch ich Angst? Vor dem gestrigen Befehl, uns auf den Frontdienst vorzubereiten, habe ich vor allem an meinen knurrenden Magen gedacht. Wir hatten seit dem Morgengrauen keine Essenspause. Der Hunger plagte mich unaufhörlich. Trotz des Fastens mussten wir anstrengende Übungen absolvieren. Doch seit dem überraschenden Frontbefehl habe ich den Appetit verloren. Ich würde mich womöglich übergeben, wenn ich etwas äße. Was ist es also? Was fühle ich wirklich? Im Moment bin ich außerstande, mir darüber klar zu werden.
Doch eines weiß ich gewiss: Ich liebe Dich über alles in der Welt.
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