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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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Begeisterung. Vor seinem geistigen Auge sah er seinen Kommandeur, Oberst von Eichhorn, im Glorienschein eines zweiten Bismarck, der sein Volk zu unsterblichen Siegen über die Feinde Deutschlands führt …
    Diese heroische Vision dauerte allerdings nur wenige Minuten, vielleicht nur Sekunden. In dem Hagel von Erdbrocken und Steinen, die ihm von den Hufen der vorausgaloppierenden Pferde entgegengeschleudert wurde, sah er andere und weitaus gefährlichere Dinge auf sich zukommen. Noch hatte keine Feindberührung stattgefunden, doch schon schlugen Granaten in das voranstürmende Regiment ein. Zwar schwiegen die Gewehre in den belgischen Stellungen noch, aber das feindliche Schrapnellfeuer riss breite Lücken in die Reiterformationen. Ludwig nahm die gefallenen Kameraden, die Schreie der Verwundeten, das Wiehern der verängstigten Pferde kaum wahr. Als wäre er betrunken, schien alles um ihn herum zu verschwimmen. Er konnte sich nur auf eines konzentrieren, konnte nur einen Gedanken denken: Voran!
    Da setzte auch schon das Rattern der Maschinengewehre und das Gewehrfeuer ein. Maschinengewehre? Davon war in der Ausbildung gar nicht die Rede gewesen. Ganze Reihen von Reitern wurden dahingemäht. Trotzdem gelang es Ludwig und vielen seiner Kameraden, in verwegenem Galopp die vorderste Linie des Feindes zu erreichen. Ludwig stieß mit der Lanze nach einem belgischen Soldaten, der mit aufgepflanztem Bajonett aus einem Graben auftauchte. Er verfehlte seine Brust, doch der Soldat stürzte zu Boden. Ludwig reagierte blitzschnell und spornte Goliath an, fast aus dem Stand heraus über den breiten Graben zu springen. Der Wallach streckte den hohen Rücken zu einem gewaltigen Sprung, und Ludwig, ganz mit ihm verschmolzen, nahm seine Bewegung auf, indem er sich in den Bügeln aufstellte und über den Pferdehals nach vorn beugte. Er gab nur so viel in den Zügeln nach, dass Goliath nicht im Sprung gestört wurde, und landete sicher auf der anderen Seite des Grabens. Doch er hatte keine Zeit, sich über das geglückte Wagnis zu freuen. Zu seinem Schrecken sah er, dass er schnurstracks auf die zweite Verteidigungslinie des Feindes zugaloppierte. Eine gewaltige Welle von Soldaten rollte auf ihn zu. Rechts und links von ihm stürmten feindliche Truppen voran, um die Bresche in der ersten Verteidigungslinie zu schließen. Ludwig und die wenigen Reiter seines Regiments, die noch im Sattel saßen, waren von Feinden umgeben.
    Noch überlegte Ludwig fieberhaft, wohin er sich wenden sollte, als Goliath sich in Panik aufbäumte und den Kopf nach hinten warf. Ludwig verlor das Gleichgewicht und rutschte seitlich aus dem Sattel, doch bevor er fiel, brach das Pferd mit einem Röcheln unter ihm zusammen. So wurde Ludwigs Sturz gemildert, der ihn sonst mit Wucht zu Boden geschleudert hätte. Goliath war tot. Eine Kugel hatte ihn in die Brust getroffen. Innerhalb von Sekunden hatte ihm der silbergraue Wallach zwei Mal das Leben gerettet.
    Ludwig raffte sich auf. Sein Körper schmerzte und war von Schlamm bedeckt. Er hatte keine Waffen mehr. Die Lanze war ihm bei dem Sturz aus der Hand geglitten, das Gewehr von der Schulter gerutscht. Um ihn herum war es stiller geworden. Das Feuer war eingestellt. Umso lauter drangen die Schreie der Verwundeten und das Röcheln sterbender Pferde zu ihm. Direkt vor Ludwigs Gesicht galoppierte ein Wallach vorbei. Sein Bauch war aufgerissen, der Darm hing herunter – lang und verdreht.Mit einem Mal blieb das Bein des Pferdes im Darm hängen, und es kippte um, sprang sofort wieder auf und verschwand mit wildem Galopp aus Ludwigs Gesichtsfeld.
    Als er sich abwandte, sah Ludwig, dass sein Kommandeur, Oberst von Eichhorn, und einige seiner Ulanen von belgischen Soldaten mit angelegten Gewehren umringt wurden. Er glaubte, jeden Augenblick die Schüsse fallen zu hören, die von Eichhorn und seine Begleiter zu Boden strecken würden. Doch sein Kommandeur senkte den Säbel und ließ ihn dann fallen. Seine Begleiter taten es ihm nach. Ludwig zwang sich, nicht weiter über diese schmachvolle Kapitulation nachzudenken. Sein einziger Gedanke musste der Flucht gelten. Wie konnte er dieser Falle entrinnen? Da die Belgier sich ganz auf ihre prominenten Gefangenen zu konzentrieren schienen, hatten sie noch nicht bemerkt, dass keine vierzig Meter von ihnen entfernt ein weiterer deutscher Soldat am Boden lag.
    Ludwig fasste einen Entschluss und rannte hinter einem der reiterlosen Pferde her, erwischte es am Zügel, sprang in den Sattel

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