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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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Sache war nicht in Sicht, die
Geschichte hatte Nette das letzte Geld und den letzten Schneid abgekauft.
    »Eine Frau ist wie ein Kirschbaum«, philosophierte Opa. »Im Frühling blüht sie duftend weiß, ihre schönen Äste federn im warmen
Wind …«
    Nette unterbrach ihn: »Was soll im Wind federn?«
    Er ließ sich nicht unterbrechen: »... wie Locken in Reih und Glied.«
    Erneut ging sie dazwischen: »Welche Locken stehen denn um Himmels willen in Reih und Glied?«
    Er streckte ihr die Zunge heraus und fand weiter seinen schwülstigen Text: »Elegant in den Bewegungen wie das Defilee beim Opernball; die Knospen noch geschlossen, klebrig feucht wie
Honig. Bald lassen die Bäume und die Frauen die weißen Schleier fallen, schenken ihren Früchten alle Kraft, die werden prall und immer praller. Doch die Schätzchen bleiben
nicht, sie fallen von ihnen ab oder werden ihnen entrissen und von Fremden vernascht. In der Kälte des Herbstes fallen die Blätter ab, die Bäume geben sich bald vertrocknet dem
Winter hin, als hätte es nie einen Frühling gegeben.«
    »Und die Männer?«, fragte Nette bitter.
    »Die?«, prahlte der Alte und blähte seine Brust. »Die stehen wie die deutsche Eiche ewig im Saft.«
    »Du siehst eher aus wie ein ungepflegter Bonsai.«
    Er schaute grimmig: »Das ist jetzt aber gemein!«
    Nette winkte ab und grinste ein wenig, weil endlich mal ein Witz auf seine Kosten gegangen war.
    Ihr Wohl und Wehe hing nun an der nächsten Ernte, je nachdem, ob die Schattenmorellen Geld brachten oder nicht. Sie hatte jedoch keinen Einfluss darauf, ob es gelang oder nicht. In manchen
Sommern zum Beispiel regnete es nicht, die Früchte blieben klein und runzelten wie Rosinen. In anderen Jahren setzten viele Blüten Früchte an, die auch hängen blieben und
reiften, doch zwei Wochen vor der Ernte begann ein Dauerregen. Die Kirschen saugten sich mit Wasser voll, dehnten sich aus, die Haut platzte auf, und die offenen Früchte verfaulten am Stiel.
Und wenn endlich einmal weder Hitze noch Regen Unheil angerichtet hatten, erledigte das die Monilia, eine Pilzkrankheit, die das Laub der Kirschbäume verdorren ließ und die Früchte
mit kleinen Dellen übersäte.
    »Mir wärs lieber«, jammerte Nette, »ich hätte die am Oberschenkel als an meinen Kirschen.«
    Sie besaß glatte Beine und einen festen Po, jede andere Frau hätte ein Vermögen ausgegeben, nackt wie Nette auszusehen.
    »Wer sieht mich schon nackt?«, rief sie erbost. »Nenn mir nur einen!«
    Das schlimmste Wetter kam immer plötzlich, wie vier Jahre zuvor. Annie hatte am späten Nachmittag mit ihrer Trommel um den Bauch am Feld gestanden, die Luft war drückend
schwül. Das Mädchen spürte eine fast feierlich anmutende Stille um sich, mächtige Wolken hatten sich am Himmel aufgetürmt, alle Vögel hatten sich überraschend in
den Wald verzogen, schließlich folgten Donner und Blitze. Da kam Nette mit dem Ford über den Feldweg gefahren, bremste scharf und stürzte mit einem schwarzen Regenschirm aus dem
Wagen. Als hätte sich das Unglück mit ihr an der Plantage verabredet, ging der Hagel in diesem Moment los, es dauerte nur ein bis zwei Minuten. Die Körner waren gar nicht mal so
groß, doch sie hämmerten mit Wucht auf den Regenschirm, unter den sich Mutter und Tochter duckten. Aneinandergedrückt sahen sie zu, wie die Einschläge das Laub zerfledderten,
die Früchte aufplatzten, als würden fette Menschen mit Revolvern beschossen.
    Nette stand stocksteif da, sagte kein Wort, hilflos, hatte es kommen sehen, ein ganzes Jahr Arbeit umsonst, ihre Träume von einer Renovierung dahin, die Schulden würden weiter wachsen.
Nach wenigen Augenblicken rissen die Wolken auf, Sonnenschein folgte regelrecht frech und heiter.
    Annie berührte ihre Mutter zart, wollte trösten, aber die schob ihre Hand wortlos weg. Geweint hatte sie trotzdem nicht, bloß die Zähne aufeinandergebissen, die Muskeln
angespannt und die Luft angehalten.
    »Weshalb nimmst du meine Hand nicht?«
    »Dann fühlt es sich noch schlimmer an.«
    »Das stimmt nicht, versuchs doch mal.«
    Annie hielt ihrer Mutter wieder die Hand hin, diesmal überwand sich Nette. Die Getreidefelder der Nachbarn waren ebenfalls getroffen, die Halme von den Hagelkörnern
niedergedrückt, die Ähren getroffen, aber sie würden sich wieder erholen nach einem solch eher mittelschweren Schlag.
    »Kirschen sind viel empfindlicher als Korn, ich kann doch keine Dächer über die Bäume bauen«, sagte

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