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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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jemanden.«
    »Nette hat dich und ihren Vater.«
    »Einen Mann!« Annie starrte ihn an, Galle hätte es nicht besser gemacht.
    Doch ihr Kandidat runzelte die Stirn und schüttelte leicht den Kopf: »Wer sich in deine Mutter verliebt, steht mit beiden Füßen auf der Seife.«
    »Sie wollen sie also nicht?«
    »Danke für das Vertrauen, aber ich bin nicht für die Ehe.«
    »Und was mache ich nun mit ihr?«
    »Ausschlafen lassen.«
    So musste Annie sich eingestehen, dass ihre Mutter ein schwieriger Fall war, da hatte der Apotheker recht. Nette brauchte jeden Tag massenhaft Komplimente, sonst wurde sie
brummig oder böse. Aber sie riss sich nicht zusammen, um ein Lob zu erwerben, oder tat etwas Nettes, wie es ihr Name verlangte. Vielmehr machte sie das Gegenteil: Wenn sie was von Opa wollte,
beschimpfte sie ihn, beleidigte ihn, terrorisierte ihn mit Forderungen, jammerte, sie hätte zu wenig von allem, und so weiter und so weiter. Sie trat ihn gewissermaßen vors Schienbein
und schien irrigerweise damit zu rechnen, dass er sie deswegen umarmte.
    Wenn Annie ihr Geschenke machte, argwöhnte Nette sogleich, ihre Tochter erwarte etwas zurück. Opa konnte etwas Köstliches kochen, und sie half nicht mal beim Tischdecken. Je mehr
man sie liebte und verwöhnte, desto aufsässiger wurde sie.
    Weshalb bloß, fragte sich Annie, das kann doch nicht an den fünf Minuten Schreien im Kinderwagen liegen. Bei ihrer Mutter schien etwas defekt zu sein.
    Sie hatte kein Gespür für richtiges Verhalten, bei Trauerfeiern alberte Nette herum, und bei Hochzeiten stänkerte sie die Braut zu Tränen. Die guten ledigen Männer
ekelte sie weg, die Untreuen und Verheirateten himmelte sie an. Sie versprach heute was und brach es morgen. Dann war sie plötzlich wie verwandelt, alle Welt staunte, freute sich, als
würde die Sonne nach tagelangem Regen wieder scheinen.
    Mehrere Male geschah es, dass sie schon morgens durchs Haus tänzelte, überglücklich, überschäumend: Sie habe Lust auf einen Ausflug nach Berlin, Hamburg, Paris, das
Dornröschenschloss im Reinhardswald oder warum nicht gleich Rom, am nächsten Morgen früh solle es losgehen, um fünf Uhr. »Sei wach und halte dich bereit«, sagte sie
zu Annie.
    Die stellte sich den Wecker, kleidete sich an und wartete auf der Holztreppe, die Haustür im Blick, eine alte lila Tasche der Mutter neben sich. Gegen Mittag kam Nette im Nachthemd
heruntergeschlurft, auf dem Weg zum Klo, sah die Kleine auf der Stufe. Verkatert winkte sie ab und brummelte was von nächstem Mal. Wie oft hat das Mädchen dort auf den Stufen gesessen!
Sie sind nie gefahren. Dann aber, als Annie aufgegeben hatte, fuhr Nette endlich los, in der Früh um fünf, ohne Kater und ohne ihre Tochter, irgendwohin.
    Vorher hatte sie Annie noch engherzig vorgerechnet, wie viel Geld ein Kind koste, was für eine Last sie sei, eine Art schlechter Acker mit zu vielen Steinen. Doch Annie hatte kaum je etwas
verlangt oder gebraucht, stattdessen hatte Nette ihr letztes Geld bei einem Quiz im Radio verloren. Die Zuhörer sollten ein Geräusch erkennen, pro Anruf fünfzig Cent. Vier Wochen ein
und dieselbe Frage und ein Jackpot, der immer fetter wurde. Nette war nie durchgestellt worden ins Studio, ihre Antwort war ohnehin falsch, die Auflösung absurd: Das Geräusch war eine
Cellospitze, die auf ein Straußenei stieß und es zerbrach. Nette hatte sich schrecklich darüber aufgeregt – wie sollte man so etwas Absurdes erraten können? Sie
musste die enorm hohe Telefonrechnung begleichen und hatte nichts davon außer Ärger. Zumindest entschloss sie sich, diesen Sender nie mehr einzuschalten.
    Annie erträumte sich andere Dinge als ihre Mutter, suchte im Grunde aber wie sie nach abwegigen Auswegen. Wenn die Familie zum Beispiel eine Windmühle besäße statt einer
Kirschplantage, malte sie sich aus. Eine von diesen alten, um achtzehnhundert gebaut, in Weiß und Rot, wie sie in Holland standen. Dann hätte ihre Mutter bestimmt ein besseres Leben.
Jeden Morgen nach dem Aufstehen würde sie genau schauen, woher der Wind weht, und das Mühlrad danach ausrichten. Die Sache käme in Schwung, bis es gemütlich rumpelte und es
beinahe von allein mahlte, zerquetschte und die Weizen- und Roggenkörner platt machte. Ihre Schattenmorellen dagegen waren zu empfindlich, da konnte es nur Probleme geben, das war
vorauszusehen. Wachsen sie vernünftig, fragte man sich am Anfang. Überleben sie, kommt Frost, kommt Hagel, all das. Viel zu

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