Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
wie er eine Sorte Käse aß, der stinkender nicht sein konnte, einen runden gelben durchsichtigen, den er zuvor tagelang in Kümmel und
Zwiebelstücken, Öl und Essig einlegt hatte. Nach dem Verzehr pupste er schamlos am Tisch, lachte gar darüber und nannte dieses grauenhafte Geräusch Musik.
Zum Frühstück bereitete er ihr gebratene Kartoffeln mit Speck zu und rührte Eier hinein, reichte frisches Brot und Milch dazu. Bei ihm wusch sich Paula bald vor dem Essen nicht
mehr die Hände, wischte ihre fettigen Finger an der Kleidung ab und hatte riesengroßen Appetit – ihm dagegen war es gar nicht recht, wie gut sie aß.
»Was stört dich daran?« Nun sprach sie gar mit vollem Mund.
»Was meinste, was das kostet.«
Sie grinste ihn an, er hatte sich seinen Gast selbst eingebrockt: »Jedes eigene Kind kostet insgesamt eine Viertelmillion, hab ich mal gehört.«
Er kratzte sich verzagt am Hinterkopf und stocherte nachdenklich mit der Gabel in seinem Bauernfrühstück herum, dachte an seine eigene karge Kindheit und stellte schließlich
ernüchtert fest: »Ich hab meine Eltern keine tausend Mark gekostet.«
»Und wo kommt dein Bauch her?«
»Hab ich auf eigene Kosten gezüchtet.«
Es war das erste Mal, dass aus seinem Computer ein leibhaftiger Mensch entsprungen war, er hatte im Traum nicht geahnt, dass harmloses Gefasel in E-Mails solche Folgen haben könnte. Tausend
Nachrichten hatte er schon versandt, er hielt sich gern in den Adoptionsforen auf, weil da herrlich nette Leute zu finden waren, mit denen sich gefühlvoll plaudern ließ. Und nun schlief
eine reale Person unter seinem Dach, die glaubte, ihren Vater gefunden zu haben.
Wie komm ich da wieder raus?, fragte er sich.
»Du hast doch von Papieren gesprochen, in denen ich stehe.«
Er wusste nicht, wie er das alles erklären sollte, also schwieg er lieber. Die Gesellschaft des Mädchens war immerhin eine Abwechslung.
Im Hasenstall drückte Paula ihre Nase ins Fell der Tiere, Niedlicheres gab es nicht auf der Welt, fand sie, als die warmen kleinen Wesen, die zutraulich zurückschnüffelten. Ihre
Eltern waren gegen jedwede Felle allergisch, ihr dagegen machten sie nichts aus. Nie zuvor hatte sie so viel Lebendiges um sich gehabt, dazu Rost, Staub und Heu geatmet – wie sie das
genoss! Sie hatte ein trostloses Schloss gegen eine himmlische Hütte getauscht, auch ihre Geige vermisste sie nicht, und das Ballett hatte sie ohnehin bloß angestrengt, sie war zu
kräftig gebaut dafür. Hier wurde sie prima versorgt und fühlte sich gelöst, also blieb sie bei John Deere, als wäre sie hier geboren, tatsächlich seine Tochter.
Ihm hingegen wurde ihre Anwesenheit von Tag zu Tag unangenehmer. Er wollte nachsehen, ob jemand sie suchte, aber seine Internetverbindung funktionierte nicht mehr. Er fummelte an den Kabeln
herum, schaltete das Modem und seinen Computer mehrere Male aus und wieder an und fand den Fehler trotzdem nicht. Von da an spielten die beiden Rommé oder schauten gemeinsam fern.
Draußen berührte Paula alles, was sie sah: Blütenblätter, Torf und Erde, Baumrinden und Disteln. Stieß mit dem nackten Zeh an die Leiter und schrie auf vor Schreck
über den Schmerz, der genauso schnell verging, wie er gekommen war.
»Was wünschst du dir, John Deere?«
»Einen Computer, der geht.«
»Und, was noch? Wenn du viel Glück hättest oder viel Geld?«
»Einen Flachbildschirm, dass Schalke Meister wird und ’ne Dämmung fürs Haus.«
»Wärest du dann glücklich?«
»Hm.«
»Und welcher deiner drei Wünsche ist der wichtigste?«
»Die Dämmung.«
»Und eine Frau?«
»Nee!« Zur Bekräftigung winkte er mehrfach ab. »Nee, nee.«
»Warst du mal verheiratet?«
Er nickte: »Das war schlimmer als jede Woche ’n Kolbenfresser. Heute kann ich alles selber, kochen, putzen und so. Auch was zu Ostern und so, den ganzen Weiberkram. Willst
sehn?«
»Ostern ist doch schon vorbei.«
»Na und? Kann ja wohl machen, was ich will, wenn ich will.«
Er holte ein paar frische Eier aus dem Stall, setzte sich wieder an den Tisch, pikte mit einer Nadel behutsam in die Spitzen, machte zwei kleine Löcher und pustete dann kräftig in
eines hinein, sodass Eiweiß und Eigelb aus dem anderen in eine Schüssel flossen.
»Heb ich auf fürs Bauernfrühstück.«
Er reinigte die hohlen Eier in heißem Wasser und trocknete sie ab.
»Und jetzt anmalen.«
»Die Eier?«
»Jo, mach ich gern, ist mein Hobby, das ganze Jahr.«
»Keine Modelleisenbahn oder
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