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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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»Sie ist sicher nicht für lange fort«, tröstete er. »Sie behandelt im Ausland, sagen wir, einen Befall. Nimm die Monilia!
Wenn die mal in einem Kirschbaum steckt, dann nutzt einzig ein radikaler Schnitt, sonst bringt der Pilz ihn um.«
    »Jetzt hör doch mit deinem Kirschenquatsch auf!«, beschimpfte Annie ihn.
    »Ich wollte ja nur sagen, sie wird sich erholen, und du, lass dich nicht von ihrer schlechten Laune anstecken.«
    Er stockte, schaute Annie an, fasste sich an die Stirn, grübelte. »In ein oder zwei Wochen. Sie kommt bald zurück, sicher.«
    Mit seinen Gedanken ganz woanders, als wäre früher Morgen, stand er von seinem Sofa auf und kochte sich einen Kaffee.
    »Aber ich lasse mich anstecken«, murmelte er.
    Annie schlich durchs Dorf, den Kopf gesenkt, an der Bushaltestelle traf sie Fritzi, setzte sich zu ihr auf die Bank und vertraute ihr an, was sie eigentlich schon immer ihrer
Mutter hatte sagen wollen: »Ich kann dem Friseur nicht sagen, welche Frisur ich will, weil ich es nicht weiß.«
    »lass wachsen«, meinte Fritzi.
    »Und hier oben«, Annie wies auf ihren Brustkorb, »zieht es mir seit Wochen, alles ist empfindlich und tut tierisch weh, wenn jemand daran stößt.«
    »des gibt sich.«
    »Meinst du, ich habe Brustkrebs?«
    Fritzi musterte ihre Oberweite: »des is eher hautkrebs ne.«
    Sie boxte ihrer Freundin in die Seite für diese Frechheit und jammerte weiter: »Alle haben ihre Tage, nur ich nicht.«
    »sei froh.«
    Im Sportunterricht war Annie bereits aufgefallen, weil sie sich keine Auszeit nahm wegen der Blutungen. Selbst wenn sie ihre Tage hätte, würde sie keine Freistunde nehmen, das war ihre
Haltung dazu, sie wollte keine Mimose sein.
    »Meine Mutter ist fort.«
    »weisich.«
    »Und?«
    »haste endlich ruh.«
    Es verging keine halbe Stunde, da kam Opa mit einer Blume am Revers die Straße entlang, nahm seine Enkelin beiseite, umarmte sie und flüsterte, damit die diebische Fritzi das nicht
spitzbekam: »In der Truhe habe ich Geld gelassen, du kannst davon kaufen, was du willst. Das wird reichen, bis Nette wiederkommt, sicher jeden Moment oder in wenigen Tagen schon. Du hast ja
Freunde, wie ich sehe. Ich war noch nie so glücklich. Mach dir ein paar schöne Tage, und tschüs.«
    Annie starrte ihn bestürzt an: »Wie, du gehst auch?«
    Er fuchtelte um Verständnis bettelnd mit den Händen in der Luft.
    »Ich habe nicht mehr viel Zeit, ein paar Jahre, wenn überhaupt. Vielleicht bin ich morgen schon am Meer.«
    Das Mädchen begriff das alles nicht. Am Straßenrand wartete Ninotschka auf ihren Liebhaber, mit einer Sonnenbrille im Gesicht, die Gläser ähnlich hellgrün wie ihr Rock.
Das ungleiche Paar küsste sich, dann fuhren sie ab, wieder chauffiert vom Bäcker. Annie hatte nicht mal fragen können, wohin es ging.
    »Aber?«
    Fritzi hatte sich das alles mit angesehen und sang ihrer Freundin nun ein passendes Lied dazu: »allein-allein.«
    Es hätte Annie gefallen können, wenn der Text nicht so passend gewesen wäre, zweimal allein gelassen. In der Zeitung hatte gestanden, ganze 33
Millionen Koffer seien im Sommer allein unterwegs. Sie hatte sich nicht erklären können, was diese Nachricht bedeutete: Was sind Koffer ohne Besitzer? Nichts. Und Besitzer ohne Koffer
sind auch schlecht dran. Wie können Leute ihre Koffer verlassen?
    »allein-allein.«
    Zum Glück sickerten ihr die Tränen bloß aus der Nase, sie wischte sie mit dem Unterarm fort, als habe sie Schnupfen, und fragte Fritzi: »Von wem ist das Lied?«
    »polarkreis 18.«
    »Kenn ich nicht.«
    »haste ipod mp3 so was, kopir isch dir.«
    »Wir haben ein Radio daheim.«
    Da fragte Fritzi: »was ’n das?«
    »Das wird sogar warm, wenn es Musik macht«, warf sich Annie für längst vergangene Zeiten in die Bresche.
    Fritzi staunte: »wo?«
    Das uralte Röhrenradio, dachte Annie, war auch allein-allein, nicht nur die Menschen gingen fort, die Geräte verschwanden ebenso, besonders die, die so herrlich groß waren, wer
lockte das alles fort? Sie schüttelte sich: Passiert wirklich, was hier passiert? Sie schloss ihre Augen und stellte sich Flötentöne vor, um sich zu beruhigen, womöglich blies
der Rattenfänger wieder, sammelte die alten Radios und die Erwachsenen oder Koffer ein und brachte sie fort, so konnte man sich das Geschehen vielleicht erklären. Schreibmaschinen und
Kassettenrekorder hat er auch mitgenommen, hinein in den Berg für alle Ewigkeit. Diesmal verschwanden Mütter und Väter, und die Kinder

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