Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
viel.
Das Mädchen von der Bar rieb Paula nun mit etwas Butter die Wangen ein, dann die Lippen, den Hals und rief laut: »Habt ihr ihre Haare gesehen? Die sind echt.«
Paula schauderte, zwei andere rieben ihre Halswirbel fettig und das Schlüsselbein, bis sie endlich grinste. Es war zärtlich und schön. Die Jugendlichen spielten nun haltlos mit
Lebensmitteln, als hätte man sich schon den ganzen Abend darauf gefreut. Ein Junge kippte Paula übermütig Mousse au Chocolat in die Jeans – sie kreischte auf, alle
küssten sich, Mädchen und Jungen durcheinander. So steif es bisher bei ihr daheim gewesen war, so kurios war es nun hier, beinahe unwirklich. Als wäre es eine Nacht, wie man sie
sonst nur im Kino sah, in einem Film, den sie nicht hätte sehen dürfen. Und jetzt erlebte sie es, spürte Zuckersüßes im Mund, warme Hände auf ihrem Körper, sie
träumte das nicht bloß und konnte es doch nicht glauben, es fühlte sich berauschend an. Die letzten Kleidungsstücke wurden in die Ecke geworfen, weil sie fettig, versifft oder
nass waren, ihre Wäsche behielten die meisten an. Sie nahmen noch mehr Butter, ganze Schüsseln voll, und schmierten einander komplett ein. Endlich war Paula mittendrin, wie hatte sie die
Gleichaltrigen vermisst. Keine Freunde ihr Leben lang, was für ein Wahnsinn. Das wird sich ändern, wenn ich zurück bin, schwor sie sich.
Ein Rothaariger mit braunen Sommersprossen riss nun Daunenkissen auf, alles war vorbereitet, er hatte diese Idee gehabt. Schlug sie lachend gegen die Wand, traf die anderen damit,
beschüttete sie mit Federn. Die blieben an der Butterhaut kleben, die Jugendlichen sahen aus wie gerade geschlüpfte Spatzen oder zerzauste Schwäne, tanzten eng, zu zweit, dritt,
viert, legten sich gebuttert und gefedert zu den Essensresten, schmausten die Reste, landeten in dunklen Ecken, tranken weiter oder schliefen still.
Paula wurde von einem dünnen Jungen mit Zahnspange beschmust, gleichzeitig streichelte ein größerer mit Gangstergesicht und dichten schwarzen Augenbrauen ihren Rücken, ein
Mädchen steckte ihr aus Spaß saure Gurken zwischen die Zehen, irgendwer knabberte sie dort wieder weg. Paula betrank sich, schlief zwischendurch wohl mal ein, wachte unter Decken auf, in
den Armen von vielen. Ihre Blutbläschen blubberten. Sie war in nur einer Nacht erwachsen geworden, Energie Cottbus sei Dank.
Zuerst hatte es sich angefühlt, als sei sie in einen Strudel gekommen, wie das manchmal in der Schule passierte, wenn zu viele Schüler gleichzeitig in einen Klassenraum drängten.
Sie hatte solche Momente tatsächlich genossen und sich gern anrempeln lassen, ja, sie war sogar in Kaufhäuser gegangen, um absichtlich mit Menschen zusammenzustoßen, weil sie die
Haut der anderen einfach brauchte. Paula hätte sich verprügeln lassen, nur damit irgendwer sie berührte. Sie litt unter den hysterischen Warnungen ihrer Eltern, niemanden in ihre
Nähe kommen zu lassen. Draußen ließ sie sich darum zum Trotz von Brennnesseln reizen, sie provozierte sogar kleine Hunde, mal zuzuschnappen, oder sie lief im Winter barfuß
über den gefrorenen Rasen, wenn keiner es sah.
Bei diesem Fest waren die Jungen aufgeregter als im Gedränge vor dem Klassenzimmer, schienen fortzuwollen und blieben doch da, umarmten die Mädchen, griffen zu, ließen es,
scherzten.
Der Alkoholrausch hatte das Spiel mit Fett und Federn angenehm und langsam geschehen lassen, geradezu zeitlupengleich, niemand wollte ernsthaft von einem Bestimmten anderen was, sie waren
bloß ein schwitzendes Menschenknäuel, in dem alle miteinander spielten und sich gehen ließen, hier ein Oberschenkel, dort eine nackte Brust, die Federn kitzelten oder pikten
angenehm und lenkten ab. Nichts Frivoles, eher eine harmlose Rangelei, bei der nahezu alle Jungs wie im Vorübergehen ein paar Tropfen verloren, was nicht weiter auffiel. Kein Mädchen
hatte sich davon belästigt gefühlt. Es war eh alles glitschig von übergeschwappten Getränken, Schweiß und Spucke.
Irgendwann war man vom Feiern ins Schlafen gekommen, die Kissen hatten sich in Luft aufgelöst, die Decken lagen drunter und drüber. Und Paula war so glücklich wie nie zuvor.
Am darauffolgenden Morgen schreckten die Erzieherinnen mit pochenden Kopfschmerzen hoch, räumten das Dachgeschoss auf, spülten selbst die leeren Flaschen, damit
niemand den Alkohol darin riechen konnte. Dann weckten sie die Jugendlichen, die in kleinen Gruppen eng aneinandergeschmiegt lagen,
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