Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
schickten einen nach dem anderen unter die Dusche, damit Butter
und Federn von ihnen runterkamen.
Paula tat das kühle Wasser gut, sie feixte mit den anderen Mädchen, wer wie viel getrunken, wer wann die Besinnung verloren oder gekotzt hatte. Ihr war übel vom Rausch, sie
tauschte Klingeltöne, vergaß allerdings, die Telefonnummern der anderen zu erfragen und war verblüfft, dass außerhalb ihres Elternhauses das Leben stürmte, statt zu
plätschern. Dass sie endlich mal dabei war statt bloß außen vor. So fiel sie gewaschen und gekämmt, aber doch zitternd schwach in die Arme ihrer Mutter, die mit dem Vater in
einem Hotel übernachtet hatte und nun kam, die Tochter abzuholen. Noch nie hatten sie eine so gelöste Paula gesehen.
»Was ist denn geschehen?«
»Die Luft ist hier schöner als bei uns, finde ich.«
»In Cottbus?«, fragte die Mutter mit hoher Stimme. »Ausgerechnet die Luft?« Und dann der erste Tadel: »Du hast ja Federn hinter den Ohren.«
Paula kicherte: »Ich bin eben erst geschlüpft, ein Spatz, ein Schwan.«
Auf der Rückfahrt nach Dresden hatte sie ihren Eltern einige Mitteilungen zu machen. Erstens werde sie nicht mehr zum Ballett gehen und auch nicht mehr Geige spielen, das Gehopse und
Gekratze widere sie an. Zweitens interessiere sie sich für Breakdance.
Sofort legten die Eltern los, wen sie hier kannten und dort bezahlen würden, Trainer und Konsorten, wollten alles organisieren.
»Ich mach das, ich kümmer mich darum«, unterbrach Paula sie.
Ihre Mutter warnte: »Warum nicht gleich, du darfst keine Zeit verlieren.«
Sie gähnte: »Ich habe Zeit, Jahrzehnte mehr als du.«
»Ich bin doch noch jung!«, protestierte die Frau Mitte fünfzig.
»Pah, das bist du nicht.«
Der Vater verkniff sich ein Grinsen. Seine Gattin inspizierte ihre Haut im Kosmetikspiegel der Sonnenblende.
»Ich bin nicht alt!«
»Natürlich nicht, Liebes, du siehst prächtig aus. Aber aus der Sicht eines Teenagers bist du natürlich trotzdem nicht jung.«
»Sicher bin ich das, meine Mutter sah in meinem Alter aus wie eine alte Frau.«
Paula saß versunken auf dem Rücksitz des Wagens und malte sich mit dem Zeigefinger auf die Stirn, streichelte sich selbst die Wange und fuhr mehrere Male ihre Lippen entlang, um sich
an die Berührungen der Nacht zu erinnern. Ihre Mutter suchte sich abzulenken, zugleich verunsicherten sie längere Pausen in der Konversation, also fragte sie nach hinten: »An was
denkst du?«
»Nichts.«
»Erzähl doch mal, was habt ihr gemacht da oben?«
»Ich bin müde.«
Sie hatte mitgemacht, andere berührt, den Hals eines Jungen geküsst, den Busen eines Mädchens auch, es zwischen den Beinen gestreichelt, hatte kreuz und quer gelegen.
Mag ich nun Jungs oder Mädchen, dachte sie.
»Tanzt man heute noch eng?« Die Mutter wurde keck. »Bei uns war das so, und da haben die Jungs ihre Knie …«
»Grete, ich bitte dich«, wurde sie von ihrem Ehemann gestoppt.
Eine dieser verzwickten Zellen irgendeines Jungen muss außerordentlich beweglich gewesen sein, der windige Duftrezeptor OR 1D2 bzw. h OR 17-4 könnte dabei geholfen
haben, bis heute weiß die Wissenschaft noch immer nicht genau, wie so ein Zappelphilipp sein Pendant aufspürt. Zwei Membranen waren ausgerechnet in Paulas Körper verschmolzen,
erreichten mehrfach geteilt ihre Gebärmutter und nisteten sich irgendwann während des Unterrichts geräuschlos ein – nach vorherrschender Meinung begann in diesem Moment
eine Schwangerschaft.
Paula beobachtete ihren Körper nicht, sie tuschelte mit keiner Freundin über ihre Tage, wie sie waren, stark oder nicht, ob Tampon oder Binde, ob sie kamen oder gingen, wehtaten oder
passabel waren. Ob sie was mit einem Jungen hatte und wie es gewesen war, wie man ein Gummi benutzt und dass es platzen kann, wenn zu viel Butter im Spiel ist. Oder dass es eine Pille danach gab,
die man vom Arzt verschrieben bekam, ohne dass die Eltern davon erfuhren.
Und weil sie keine solche Freundin hatte, hätte Paula schon gar nicht gewusst, wo man unerkannt einen Schwangerschaftstest erwerben konnte und wie man ihn benutzte. Gemeinsam auf dem Klo
warten, hinstarren, erschrecken und schließlich aufschreien vor Freude oder Schreck. Hand in Hand zur Beratung gehen, keine Vorwürfe hören, den Eingriff überstehen, sich vor
Kummer gemeinsam betrinken, weiterweinen und sich schwören, das nie wieder erleben zu wollen.
Paula bekam ihre Tage nicht, beinahe war es ihr recht und angenehm, einige
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