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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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Einbrecherin. Ohne das übliche Spektakel ihrer Erwachsenen war es hier drinnen beklemmend leise. Die Fenster waren verschlossen, die Luft stand staubig in
den Räumen, einige Zimmerpflanzen waren bereits verdorrt, Fliegen schwirrten umher. Annie ließ den Wasserhahn laufen, bis die Leitung durchgespült schien und das Wasser kühl
war, füllte ein Glas und trank, nahm sich ein zweites und schnaufte durch.
    Der Briefkasten war voll, Annie zog Rechnungen und Werbebroschüren heraus, legte den Stapel auf den Küchentisch; nichts war an sie adressiert, keiner der beiden Geflüchteten hatte
sich Zeit genommen, ihr wenigstens eine Karte zu schreiben. Sie hätte heulen können, fühlte sich wie damals, als sie auf der Treppe auf ihre Mutter gewartet hatte. Sie hatte nicht
übel Lust, zum Jugendamt zu gehen und sich über ihre Erzieher zu beschweren. Doch was würde dann mit ihr geschehen? Man würde eine Betreuung für sie suchen –
womöglich Onkel Hans.
    Das Telefon blinkte, sie drückte auf den Startknopf des Anrufbeantworters und hörte vielerlei Gründe, weshalb ihre Mutter das Weite gesucht hatte: Eine Versicherung wollte
kündigen, Vorwürfe der Sparkasse, all solches Zeug, der widerliche Kauer, Termine, Mahnungen, so klangen die Probleme der Erwachsenen. Aber dann: »Hallo Annie, hier ist … na,
du weißt schon. Der Opa und du, ihr werdet euch gewiss um die Ernte kümmern. Entschuldige, ich brauche einfach noch etwas Erholung. Ich danke euch beiden, machs gut.«
    Die Stimme klang weich und lieb. Ihre Mutter war ein abgefahrener Reifen, so verstand Annie das, und sie brauchte ein neues Profil, damit sie weiterfahren konnte, in letzter Zeit war sie
gewaltig geschlittert.
    Nächste Nachricht: »Hallo Nette, hier ist dein Vater, Ninotschka und mir gehts gut. Ich wünsche dir eine gute Ernte. Kopf hoch, und grüß das Mädchen von uns.
Wiederhören.«
    Annie sank auf einen Stuhl und hielt sich am Tisch fest vor Schreck, ihr war regelrecht schlecht. Opa war sich gar nicht im Klaren darüber, dass sie immer noch auf sich gestellt war, er
hatte ernsthaft damit gerechnet, dass Nette schnell zurückkam. Keiner der beiden ahnte, dass sie hier völlig allein war, also würde auch so schnell keiner von ihnen
zurückkommen! Hauchzart weiß-rosa war ihre Stimmung draußen im Feld gewesen, trotz aller Niederlagen, weiter hoffnungsvoll wie zur Blütezeit. Hier im Haus erwischte sie nun
unerwartet der Schlag. Ihre Familie war fortgeweht, sie hing noch am Stängel, so gerade eben. Wie lange würde sie sich halten können? Sie atmete flach, ganz anders als am Waldrand,
suchte sich zu trösten, es waren doch bloß ein leeres Haus und zwei Telefonanrufe zu viel. Das Gewohnte wird weitergehen, tröstete sie sich selbst, irgendwann kommen meine Leute
wieder. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, als sei es Schweiß oder Regen, seufzte tief, griff zum Kuchen und wollte sich mit Süßem von innen streicheln. Sie hatte
schon den Mund geöffnet, da hörte sie die Geräusche. Sie waren eindeutig im Haus, die Schritte direkt über ihr. Augenblicklich erstarrte sie. Ein Tier wird sich eingenistet
haben, irrte sie sich. Mäuse machen nicht solche Geräusche, das da oben hat wohl Tatzen. Sie schlich in den Flur, lauschte hinauf, hörte nichts weiter. Eines der Stücke Kuchen
hielt sie noch immer in der Hand, legte es nun auf die Flurgarderobe unter den Spiegel.
    »Hallo?«, rief Annie tapfer, sie hätte jetzt gern einen Knüppel in der Hand gehabt, oder ihre herrliche Knarre, aber die lag leider in der Hütte.
    Mutig schlich sie die Treppe hoch, wie sie es in Krimis gesehen hatte, lauernd, blickte hektisch um sich, öffnete das Zimmer ihres Opas – leer. Im Zimmer ihrer Mutter dagegen
roch es fremd.
    »Ist da jemand?«
    Tatsächlich bewegte sich etwas unter der Decke, ein oranger Menschenkopf hob sich, die Fremde glotzte wie Galle, schnaufte heftig, tat aber nichts weiter. Annie ging vorsichtig auf sie zu,
berührte sie leicht an der Schulter, wie zur Begrüßung oder um zu prüfen, ob sie keine Gespenster sah, da schlug dieses Biest mit einem Mal derart um sich, dass sie von einer
Faust an der Wange getroffen wurde. Beinahe hätte sie sich heftig gewehrt, doch ihr Gegenüber sah zu entkräftet aus, und der Schlag war schlapp gewesen. Annie brauchte keinen Kampf
zu fürchten, selbst für eine Flucht schien die Gestalt zu erschöpft.
    Auf dem Fußboden und unter dem Bett lagen jede Menge geöffnete Dosen verstreut,

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