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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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Appetit schien sie zu haben, hatte wohl reichlich von den Bohnen und Pfirsichen gegessen.
    Die Fremde holte Atem, seufzte und rappelte sich nun zu einem Wort auf: »Hunger.«
    »Ich hab Gebäck. Soll ich’s holen?«
    Sie nickte. Annie flog regelrecht die Treppe hinunter, eilte mit dem Gebäck wieder hoch und reichte es ihr.
    Allein der Duft von gebackenem Hefeteig ließ das Mädchen zittern vor Freude, sie verschlang es in Sekunden, während Annie ihre Mahlzeit freudig verfolgte. Warmer Butterkuchen ist
für jemanden, der seit Tagen kalte Konserven gegessen hat, sicher ein schönes Geschenk, dachte sie. Und das Feindliche, das der Fremden noch immer im Gesicht stand, würde man schon
zu bändigen wissen, wenn man sie weiter verwöhnte.
    Mit einem Mal genoss Annie die Gesellschaft des neuen Menschen, von einem Moment auf den anderen war ihr Leben viel schöner geworden.
    »Wo kommst du denn her?«
    »Mehr.«
    »Noch mehr vom Kuchen? Oder lecker Bohnen?«
    »Kuchen.«
    »Da muss ich zum Bäcker, aber nicht weglaufen, ja?«
    Das Mädchen im Bett blickte sie nur müde an. Annie verließ den Raum, ging allerdings noch einmal zurück und beteuerte, in der Tür stehend: »Musst keine Angst
haben, hier ist sonst keiner. Ich komme bald wieder.«
    Die andere hatte ihre Augen inzwischen geschlossen und reagierte nicht.
    Annie rannte durchs Dorf, wählte den kürzesten Weg quer über den Fußballplatz, sprang über Zäune und Hecken, trat in einem fremden Garten in ein Salatbeet, der
Nachbar schimpfte hinter ihr her, sie lief unbeirrt weiter zur Bäckerei und forderte dort atemlos eine neue doppelte Portion. Er schaute missmutig: »Hab ich Alzheimer? Du warst doch eben
erst hier.«
    »Ich wachse gerade, ein Schub.«
    »Das war nicht so abgemacht.«
    »Wir können tauschen, ich hab Bohnen. Wollen Sie welche?«
    Selbst die Bäckerin stöhnte auf: »Großer Gott, bloß nicht die!«
    »Dann will ich einfach so Gebäck!«
    Lachend packte ihr die Bäckerin neuen Butterkuchen ein, Annie nahm ihn: »Sie sind der Hammer!«, und lief zurück nach Hause.
    Dort schnappte die Fremde regelrecht nach der Tüte, verschlang den Inhalt in null Komma nichts, dankte mit einem kurzen Nicken, sank zurück in die Kissen und schlief in wenigen
Sekunden ein. Annie beobachtete das alles atemlos, näherte sich und betrachtete ihr Gesicht. Sie musste etwas älter sein als sie selbst. Wie war sie bloß hierhergekommen? Annie kam
es vor, als hätte sie einen jungen Vogel gefunden und versuchte nun, ihn großzuziehen. Doch manchmal bangt man, solch ein empfindliches Tier am Morgen tot im Käfig aufzufinden. Und
genau so fürchtete sie, diese Fremde würde auch eingehen, weil sie einige Male im Schlaf so schrecklich seufzte, dass es Annie durch Mark und Bein ging.
    Annie verfiel der Schwachheit ihres Gastes regelrecht, die Kirschernte war mit einem Mal gleichgültig und die Abwesenheit ihrer Erwachsenen eine Nebensache geworden.
Draußen im Hof stand eine halbe Ladung Obstkisten, die zur Plantage gefahren werden sollte, damit Fritzis Ernte möglich wurde, aber Annie ließ sie stehen. Das Blatt hatte sich
gewendet. Ein Mensch war ihr anvertraut, sollten die Früchte doch fallen. Jetzt erst verstand sie ihre Mutter, ihren Opa, alle miteinander hatten sie die Schattenmorellen satt, und jeder hatte
seinen eigenen Grund dafür.
    Fritzi hatte nicht ahnen können, welche Bewegung ihre kleine Idee in der Community auslösen sollte. Ihre virtuelle Welt war buchstäblich überbevölkert
mit ähnlich kruden Hirnen wie dem ihren, die sich weniger durch einheimische Vokabeln als durch international verständliche Zeichen mitteilten, die als *grins, *zweifel oder *staun zu
übersetzen wären. Dass tatsächlich wesentlich mehr Fritzis im zentralen Mittelfeld Deutschlands existierten, als vermutet, sollte nun erstmals real sichtbar werden. Das interaktive
Menschenkind verschickte Mails und SMS , postete und twitterte dazu Aufrufe, die sich exponentiell verbreiteten und derart gut ankamen, dass man sich als analoger Mensch nur wundern konnte, wie
schnell dadurch eine Menge Leute mit einem Mal das Gleiche vorhatten.
    So geschah es, dass an dem verabredeten Tag zu bestimmter Stunde geschätzte eintausendfünfhundert Individuen aufbrachen, um sich offline auf Annies Plantage als ein sogenannter
Flashmob zu versammeln. Flash, weil sie schnell wie der Blitz da waren, und Mob, weil diese Volksmenge sich tatsächlich als aufgewiegeltes Gesindel zeigte.
    Fritzi hatte

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