Süße Fesseln der Liebe
denn ich habe die Absicht, mit dir zu arbeiten. Ich muss dich so gut wie möglich kennenlernen, muss so gut wie möglich wissen, wie du in gewissen Situationen agieren und reagieren wirst.«
»Das ist alles?« Entsetzt und ungläubig suchte sie seinen Blick im Spiegel.
Einen Moment lang konnte er sich nicht rühren, so sehr hielt
ihr samtiger Blick ihn gefangen. Natürlich ist das nicht alles. Aber das darf ich nicht eingestehen. Nicht ohne die innere Distanz zu verlieren, die mich all die zurückliegenden Jahre sicher überstehen ließ - und aus mir einen ausgezeichneten Agenten gemacht hat. Und diese innere Distanz wird auch Aurelias Sicherheit und die ihres Kindes garantieren.
»Ist das wirklich alles, Greville?«, wiederholte sie, bemerkte einen seltsam wirbelnden Nebel in seinen klaren grauen Augen.
Greville dachte an Don Antonio, dachte daran, wie Franny beim Spiel observiert worden war, an den Raubtierblick aus den halb geschlossenen Augen. Der Spanier hatte sich den Kopf darüber zerbrochen, wie er seine Informationen am besten verwerten sollte, wie er eine mögliche Schwäche ausnutzen konnte.
Und Greville war auch klar, dass er, soweit es ihn selbst betraf, sich solche Schwächen in seinem Leben nicht zu gestatten wagte. Denn er hatte mit eigenen Augen gesehen, was mit Männern geschehen konnte, die ihren Gefühlen zum Opfer fielen. »Es muss sein«, stieß er schließlich hervor.
Aurelia erhob sich, wirbelte herum, umklammerte seine Oberarme mit hartem Griff. »Nein, Greville, es muss nicht sein.«
»Doch, Aurelia.« Er löste ihre Hände von seinen Armen und drückte sie an ihre Hüften. »Das heißt nicht, dass ich nicht wünschte, es könnte anders sein. Aber du wirst hinnehmen müssen, dass ich am besten weiß, wie ich meine Arbeit zu erledigen habe. Es handelt sich um eine Arbeit, die keinerlei Weichheiten und Gefühle gestattet. Und es ist die Arbeit, für die ich mich entschieden habe. Genau wie Frederick.«
»Willst du behaupten, dass Frederick sämtliche warmherzigen und liebenden Gedanken an uns beiseitegeschoben hatte … sämtliche Gedanken an Franny und mich?« Aurelia regte sich nicht, blickte ihm starr in die Augen, als wollte sie die Antwort hinter dem undurchdringlichen grauen Schleier finden.
»Er hatte keine andere Wahl«, erwiderte Greville schlicht.
»Das soll wohl heißen, falls er nicht gestorben wäre, falls er irgendwann unverletzt hätte nach Hause fahren können, dann wäre er nicht zurückgekommen, weil er zuvor jegliche persönliche Verbindung zu uns gekappt hatte? Willst du behaupten, dass er nicht länger Vater und Ehemann gewesen ist?«
Aurelia schüttelte den Kopf und machte einen Schritt zum Kaminfeuer. »Ich kann es kaum fassen. Frederick hätte sich niemals auf solche Geschichten eingelassen. Niemals hätte er sein Leben vergessen können, seine Freunde, seine Familie und so weiter. Er hat schließlich nicht im Kloster gelebt.« Sie wandte sich Greville zu. Das glänzende Haar floss ihr über die Schultern, und in den braunen Augen blitzte die Wut.
Greville widersprach leise: »Er wusste, dass er in deinen Augen tot sein musste, und nicht nur für dich, sondern für alle anderen auch, wenn er ein erfolgreicher Geheimagent sein wollte. Also hatte er eine Entscheidung getroffen, die es ihm unmöglich machen würde, in sein früheres Leben zurückzukehren. Frederick Farnham ist bei Trafalgar gestorben. Der Mann, der in den Straßen von Corunna gestorben ist, war nicht mehr Frederick Farnham.«
»Dann bist du für deine Familie also auch tot?«
Er lächelte ironisch. »Für meine Familie war ich bereits im Augenblick meiner Geburt so gut wie tot. Denn meine Geburt hätte meine Mutter beinahe umgebracht, was mein Vater mir niemals verziehen hat. Die Folgen jener Geburt hat er mir mit Sicherheit niemals verziehen. Meine Mutter hat sich in ihre eigene Welt zurückgezogen, hat meine Existenz nahezu vollständig vergessen … oder jedenfalls ignoriert. Gleichviel, es machte keinen Unterschied. Und die Existenz meines Vaters hat sie auf genau dieselbe Weise vergessen oder ignoriert.«
Er trommelte mit den Fingerknöcheln auf die Kommode. »Da hast du es, Aurelia. Du wolltest die Geschichte hören, und ich habe so viele Worte gemacht, wie notwendig waren … über die Geschichte meiner Kindheit.«
Aurelia wusste nicht, was sie erwidern sollte. Greville war wütend, wahrscheinlich deshalb, weil sie ihn gezwungen hatte, den Schmerz zu wecken, den er seit so vielen
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