Süße Fesseln der Liebe
Jahren in den hintersten Winkel seines Herzen verbannt hatte. Oder war er auf sich selbst wütend, weil er seine eigenen Regeln gebrochen hatte aus Schwäche ihr gegenüber und weil er ihrem Charme erlegen war? Weil er sich ihrem Bedürfnis unterworfen hatte, seine Deckung aufzugeben?
»Es tut mir leid«, sagte sie schlicht, näherte sich ihm und schloss ihn fest in die Arme. »Es tut mir außerordentlich leid, dass du eine solch schreckliche Kindheit hattest. Aber es tut mir nicht leid, dass du es mir erzählt hast.«
Aurelia ließ ihn los, als sie keinerlei Erwiderung in seiner starren Haltung spüren konnte, und trat einen Schritt zurück. »Ich werde nicht wieder in dich dringen. Es ist offensichtlich, dass es dir Unbehagen bereitet. Lass dich durch mich nicht länger aufhalten.«
Greville schien zu zögern. Frustriert fuhr er sich mit den Fingern durch sein kurzes Haar. »Kommst du zum Dinner nach unten?«
»Nein. Ich habe Hester gebeten, mir ein Tablett in mein Wohnzimmer zu bringen.« Sie drehte sich zu ihrem Frisierspiegel, griff nach der Bürste und drehte das Haar im Nacken zu einem Knoten.
»Ich dachte, du wolltest den Paganini-Abend besuchen.«
»Ich fühle mich heute Abend nicht besonders wohl.«
»Oh.« An der Tür wandte er sich halb um und fügte nachdenklich hinzu: »Ich hatte gehofft, ich könnte dich begleiten.«
Er klingt verzagt, dachte Aurelia, außergewöhnlich für diesen Mann. Es war, als fühlte er sich hemmungslos verloren, ein Gefühl und eine Erfahrung, die ihm vollkommen fremd waren.
»Du könntest allein gehen und mich entschuldigen«, schlug sie vor und stülpte sich ein Haarnetz über den Knoten. »Cornelia wird dort sein.«
»Nein … nein, ich werde mich ebenfalls auf einen ruhigen Abend einrichten.« Die Hand an der Tür, hielt er nochmals inne und warf einen Blick zurück auf sie. »Soll ich noch einmal nach dir sehen, bevor ich ins Bett gehe?«
»Auf jeden Fall«, bat sie freundlich, »allerdings hatte ich vor, mich früh schlafen zu legen. Es könnte also sein, dass ich nicht mehr wach bin.«
»Ich werde mein Glück versuchen«, erwiderte er trocken und verließ ihr Zimmer.
Aurelia blieb noch eine Weile auf ihrem Hocker sitzen und fragte sich, was eigentlich gerade geschehen war. Sie hatten wunde Punkte berührt, hatten gefühlsmäßige Grenzen überschritten, obwohl Greville immer gepredigt hatte, dass diese Grenzen nicht überschritten werden durften. Um keinen Preis. Im Moment konnte sie unmöglich entscheiden, ob das Gespräch ihr genutzt hatte - oder vielleicht sogar geschadet.
»Ich glaube, ich muss zu diesem Anlass keine formelle Kleidung tragen, Aurelia.« Am Freitagabend vor der Soiree bei den Lessinghams kam Greville in ihr Schlafzimmer und bürstete nachlässig am seidenen Ärmel seines dunkelgrauen Mantels herum.
»Sicher nicht so formell wie bei Almack's«, erwiderte sie, drehte sich um und schaute ihn an, während sie gleichzeitig Hester den Arm entgegenstreckte. Das Dienstmädchen mühte sich redlich, die kleinen Knöpfe an den langen, gebauschten Ärmeln ihres Kleides zu schließen. »Das ist in Ordnung. Du siehst sehr modisch aus.« In der Tat, mit dem eng anliegenden dunkelgrauen Seidenmantel und den engen, taubengrauen Hosen konnte er nichts falsch machen, es sei denn, sie wollte verhindern, dass ihr Ehemann seine beeindruckenden Muskeln nicht ganz so freizügig in der Öffentlichkeit präsentierte.
»Darf ich das Kompliment erwidern?«, fragte er und lächelte anerkennend.
Aurelia wusste natürlich, dass das alte Kleid aus goldfarbenem Damast mit der Quastenkordel um die Taille und einem Dekolleté, das durch einen schlichten Reif aus tiefem bernsteinfarbenem Gold akzentuiert wurde, ihrem Teint überaus schmeichelte. Stunde um Stunde hatte sie mit der Brennschere hantiert und versucht, die blassblonden Locken so zu formen, dass sie ihr Gesicht perfekt umrahmten. Ohne falsche Eitelkeit war sie überzeugt, dass sie so gut aussah, wie es besser nicht sein könnte.
Obwohl ihr Äußeres in keiner Weise den inneren Zustand widerspiegelte. Seit ihrer unglücklicherweise fruchtlosen Diskussion am vergangenen Tag hatte Greville sich benommen, als wären sie dem gefährlichen Terrain niemals auch nur nahe gekommen; trotzdem war es Aurelia unmöglich, sein Schweigen zu brechen und das Gespräch wieder aufzunehmen. Aber die unausgesprochenen Worte gähnten wie eine leere Wüste zwischen ihnen … so fühlte sie sich jedenfalls.
»Vergiss deinen Fächer
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