Süße Fesseln der Liebe
nie in die Karten schauen. Sie war überzeugt, dass außer Harry niemand so genau wusste, was er eigentlich im Schilde führte. Und weil das, was er im Schilde führte, garantiert mit Harrys Angelegenheiten zu tun hatte, war alles bestimmt so eingerichtet, wie es sich gehörte.
»Guten Morgen, Lady Farnham. Bitte verzeihen Sie, ich habe den Türklopfer nicht gehört.« Der Butler Hector eilte quer durch die Halle, knöpfte sich die Weste zu. »Ich habe so früh nicht mit Besuch gerechnet.«
»Ich weiß, ich bin schockierend früh dran. Aber ich bin erst gestern Abend in London angekommen und freue mich sehr darauf, Franny zu sehen.«
»Das Frühstück wurde vor zehn Minuten in die Kinderzimmer geschickt. Wenn Sie sich dazugesellen möchten, werde ich Kaffee hinaufbringen lassen.« Hector hustete diskret. »Ich fürchte, Lord und Lady Bonham sind noch nicht aufgestanden.«
»Nein, natürlich nicht«, bemerkte Aurelia knapp. »Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, sie zu stören. Nein, ich werde nur kurz ins Kinderzimmer huschen.«
Kaum hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, war sie auch schon auf dem Weg. Denn sie wusste, dass Hector einen angemessenen Weg finden würde, seiner Herrin die Nachricht zu überbringen, dass Lady Farnham sich im Hause aufhielt.
Franny war überglücklich, ihre Mutter wiederzusehen. Sie kuschelte sich auf Aurelias Schoß, plapperte ununterbrochen. Aurelia ließ den Redeschwall über sich ergehen und genoss das Gefühl, ihre kleine Tochter wieder in den Armen zu halten. Wie würde Franny die Sache mit Greville auffassen? Es lag in der Natur der Sache, dass sie ihre Mutter oft in seiner Begleitung sehen würde. Ihrer Einschätzung nach würde Franny sie schon bald mit Fragen bedrängen, die nur schwer zu beantworten sein würden.
Und was ist mit Greville?, fragte sie sich gleich darauf. Als das kleine Mädchen und er sich zufällig begegnet waren, schienen sie sich wunderbar zu verstehen. Aber Aurelia hatte nicht die geringste Ahnung, was er über Kinder im Allgemeinen dachte. Immerhin hatte er unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er außerhalb seines Dienstes weder durch persönliche noch durch gefühlsmäßige Verpflichtungen gebunden war.
Außerdem hatte sie erfahren, dass er eine einsame Kindheit verlebt hatte. Mistress Masham hatte deutlich gemacht, dass sie das Verhalten seiner Mutter missbilligte. Hatte er Geschwister? Nein, vermutete Aurelia, aber wie soll ich mir sicher sein? Es war unmöglich, irgendetwas mit Bestimmtheit zu sagen. Greville hatte eine schier unüberwindliche Mauer um sich herum errichtet, die es beinahe ausgeschlossen erscheinen ließ, ihm private Fragen zu stellen.
Nun, im Grunde genommen gab es keine Notwendigkeit für ihn, sich mit Franny anzufreunden. Die Mission war auf drei Monate begrenzt. Das Kind würde ihn rasch wieder vergessen, sobald er dorthin verschwand, woher er gekommen war.
Aurelia löste ihren Blick von dem weichen und verwundbaren Nacken ihrer Tochter, als die Tür geöffnet wurde. »Ellie, du bist wieder zu Hause.« Cornelias Morgenkleid aus Damast rauschte, als sie ins Kinderzimmer kam, und das honigblonde Haar war noch immer wirr von der Nacht. Sie küsste Aurelia auf die Wange.
»Ich wollte nicht, dass sie dich wecken«, protestierte Aurelia und erwiderte die Umarmung. »Aber ich habe es nicht übers Herz gebracht, Franny erst zu einer zivilisierteren Uhrzeit zu besuchen.«
»Nein, natürlich nicht.« Cornelia begrüßte ihre eigenen Kinder mit einem Küsschen, hielt inne und wischte Susannah eine Marmeladenspur von der Wange. Dann schenkte sie sich Kaffee ein und setzte sich zu Aurelia an den Kamin. »Erzähl doch, wie geht es deiner Tante?«
»Viel besser. Schon kurz nach meiner Ankunft hat sie beschlossen, dass ihre Herzstörungen wahrscheinlich auf eine leichte Verstopfung zurückzuführen sind. Sie ist dazu übergegangen, Unmengen Schildkrötensuppe zu löffeln, die großzügig mit Madeira gewürzt war. Was sie rasch wieder auf die Beine gebracht hat.« Die betreffende Tante war alles andere als eine Erfindung, und Cornelia hatte genug über sie gehört, um den falschen Worten auf Anhieb Glauben zu schenken.
»Anders gesagt, die Reise war also vollkommene Verschwendung«, sagte Cornelia und streckte die Füße in den Hausschuhen wohlig dem Feuer entgegen.
»Vielleicht … vielleicht auch nicht«, entgegnete Aurelia und hoffte, dass ihr Lächeln geheimnisvoll wirkte.
»Oh?« Cornelia durchbohrte sie förmlich
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