Süße Rache: Roman (German Edition)
sich darin zu verlieren, weshalb ihm erst viel später aufging, dass er auf seine erste Frage keine Antwort bekommen hatte.
Simon spürte, wie sich der eisige Schatten seines alten Freundes Tod über ihn legte. Er gehörte nicht zu den Menschen, die sich lange quälten, bevor sie eine Entscheidung fällten; er identifizierte alle Alternativen, analysierte sie, entschied sich für die beste und hakte die Sache damit ab. Diesmal jedoch hinterließ die Entscheidung einen bitteren Nachgeschmack. Es war nicht so, dass er sie bereut hätte, denn das tat und konnte er nicht. Aber sie gefiel ihm nicht, und es gefiel ihm noch weniger, dass man sie ihm aufgezwungen hatte, obwohl er diese Entscheidung auch
ohne Intervention von außen gefällt hätte. Er würde Andie beschützen, Punkt. Das war der Urgrund für all sein Handeln.
Er brachte sie ins Holiday Inn zurück und begleitete sie zu ihrem Zimmer; er musste sich persönlich überzeugen, dass sie dort in Sicherheit war und dass niemand eingebrochen war. Dann umrahmte er ihr Gesicht mit seinen Händen, küsste sie langsam und sinnlich und ließ sich von ihrem Geschmack und den weichen Lippen besänftigen.
»Ich muss was erledigen«, sagte er, als er seinen Mund wieder von ihrem löste. Er wäre am liebsten direkt mit ihr ins Bett gestiegen und hätte sich in der heißen Umklammerung ihres Körpers verloren, doch dafür war er zu diszipliniert. »Warte nicht auf mich. Ich weiß nicht, wie lange es dauert.«
Sie sah ihn eindringlich an, und ihre blauen Augen verdüsterten sich. »Geh nicht«, sagte sie unvermittelt, obwohl sie keine Ahnung hatte, was er vorhatte. Ihm war aufgefallen, dass ihr schon immer scharfer Instinkt jetzt über alle Schärfe hinaus in eine andere Sphäre vorgestoßen wäre, so als wüsste sie Dinge, die sie unmöglich wissen konnte. War ihr überhaupt bewusst, wie viel Zeit sie damit verbrachten, einander in die Augen zu sehen, bis er manchmal das Gefühl bekam, dass sich ihre Persönlichkeiten vermengten? Wahrscheinlich nicht. In fast jeder Hinsicht war sie immer noch in dieser Welt verhaftet – ein bisschen verdrossen, ein bisschen ungeduldig, sehr, sehr sexy -, aber ab und an schien sie abzudriften, nicht in Gedanken, sondern irgendwohin in den Äther, und wenn sie zurückkehrte, wirkte sie jedes Mal noch strahlender.
Keine Ahnung, wie sie das schaffte, aber sie kannte ihn besser als jeder andere, so als hätte sie eine Direktverbindung in seinen Kopf.
»Ich komme so schnell wie möglich zurück«, sagte er und gab ihr noch einen Kuss. »Warte hier auf mich. Lass dich von diesen Arschlöchern vom FBI zu nichts überreden, bis ich wieder da bin. Versprich mir das.«
Ihre braunen Brauen zogen sich zusammen, und sie öffnete den Mund, um ihm den Marsch zu blasen, weil er ihr ein Versprechen abverlangte und gleichzeitig nicht bereit war, ihr eine Bitte zu erfüllen. Er legte einen Finger auf ihren Mund, in seinen Augenwinkeln knitterten kleine Lachfalten. »Ich weiß«, sagte er. »Versprich es mir trotzdem.«
Sie sah ihn aus schmalen Augen an und drehte sich dann zur Uhr um. »Nur wenn du mir eine feste Zeit nennst. Dieses Gelaber von wegen ›Ich muss was erledigen, ich weiß nicht, wie lange es dauert‹ kannst du dir abschminken. Wie lange brauchst du? Zwei Stunden? Fünf?«
»Vierundzwanzig«, antwortete er.
»Vierundzwanzig!«
»Das ist eine feste Zeit. Jetzt versprich es mir.« Vierundzwanzig Stunden waren eher wenig; er würde jede einzelne davon brauchen. »Das ist mir wichtig. Ich muss wissen, dass du in Sicherheit bist.« Damit drang er zu ihr durch, denn sie liebte ihn. Sie liebte ihn. Das war so unwahrscheinlich, dass es ihn zutiefst erschütterte und gleichzeitig mitten ins Herz traf.
Weil sie ihn liebte, sagte sie widerstrebend: »Na schön, ich verspreche es«, obwohl ihr das ganz und gar nicht gefiel. Er küsste sie noch einmal, trat in den Gang und blieb dort stehen, bis er gehört hatte, dass sie die Türkette eingehängt und den Riegel vorgelegt hatte. Bis er den Aufzug erreicht hatte, hatte er den wichtigsten Anruf schon erledigt.
»Hier ist Simon«, sagte er, als Scottie am Apparat war.
»Du musst mir einen Gefallen tun, wahrscheinlich den letzten.«
»Was immer du brauchst«, antwortete Scottie sofort, denn er hatte es Simon zu verdanken, dass seine Tochter noch lebte. »Und es liegt allein an dir, ob es der letzte ist oder nicht. Ich werde immer hier sein, wenn was anliegt.«
Er erklärte, was er brauchte.
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