Süße Rache: Roman (German Edition)
auf die langsam herabrinnenden Tränen gerichtet, sie hatte das schräge Gefühl, eine Fremde zu beobachten, jemanden, der vor langer Zeit verschwunden war. Ihr Gesicht war bleich, ihr Blick leer. So ungeschminkt und mit glatt aus dem Gesicht gekämmtem Haar war sie wieder das Mädchen, dessen Baby gestorben war und all ihre Träume ausgelöscht hatte.
Drea floh aus dem Bad, vor Verbitterung bekam sie kaum noch Luft. Eigentlich hätte sie ihre Haare fönen und Make-up auflegen sollen, um sich so hübsch und sexy wie möglich zu stylen, aber sie brachte die Kraft nicht auf. Sich so lange im Spiegel anzusehen, bis sie damit fertig war – nein.
Ihre Flucht führte sie ins Wohnzimmer, wo sie unschlüssig stehen blieb und den Kopf hängen ließ wie ein Aufziehspielzeug mit gerissener Sprungfeder. Was jetzt? Was sollte sie unternehmen? Was konnte sie unternehmen?
Ihr war so kalt. Eine tödliche Kälte machte sich in ihr breit, bis sich ihr Bibbern in ein zähneklapperndes Schlottern steigerte. Obwohl der Boden mit Teppichen belegt war, fühlten sich ihre Füße eisig und blutleer an, und der magentafarbene Lack leuchtete gespenstisch über der farblosen Haut. Sie hasste diesen Farbton, sie hatte den Anblick gehasst, als er ihre Füße über seine Schultern gelegt hatte.
Ein rauer, kehliger Laut platzte aus ihrer Brust, dann schubste sie die Erinnerung beiseite, rannte zu den Glasschiebetüren und hinaus auf den Balkon in die ersehnte Wärme.
Kaum spürte sie die beruhigende Hitze der Steinfliesen unter ihren Füßen. Abgesehen von der Wärme erwarteten sie auf dem Balkon unerwünschte, nein, unerträgliche Erinnerungen. Sie vermied es, zum Geländer zu sehen, an dem sie vorhin gestanden hatte, und ließ sich stattdessen, den Rücken an die Wand gelehnt, auf den gefliesten Boden sinken. Die strahlende Sonne hatte die Ziegelmauern aufgeheizt, und endlich begann die Wärme auch in ihre Schultern zu sickern. Vor Erleichterung wimmernd, zog sie die Beine an die Brust und schnürte ihren Bademantel fester, bis er sie komplett einhüllte, dann ließ sie die Stirn auf die Knie sinken.
Heisere Schluchzer stiegen aus ihrer Kehle, und die Verzweiflung, die sie erfasst hatte, war so tief, dass Drea sie genauso wenig begriff wie ihre Reaktion darauf. Was stimmte nicht mit ihr? Sie gab sonst nie auf; immer war sie am Taktieren, Manövrieren, Vorteile suchen. Sie musste sich zusammenreißen, sie musste sich anstrengen, Raffel zu verführen.
Nein! Das Wort explodierte aus ihrem Unterbewusstsein und vibrierte durch ihren ganzen Körper. Dass sie so ungestüm
und impulsiv reagierte, war erschütternd; tiefe Empfindungen waren für sie eigentlich tabu. Dann kam etwas in ihr zur Ruhe, und plötzlich war alles sonnenklar. Das mit ihr und Rafael war vorbei. Er hatte sie weggegeben, als wäre sie wertlos für ihn – als wäre sie wertlos. Punkt.
Sie hasste ihn, sie hasste ihn noch mehr als sich selbst. So lange hatte sie sich ihm ganz und gar untergeordnet, hatte alle Bemerkungen hinuntergeschluckt, allen seinen Wünschen lächelnd zugestimmt und wozu? Damit er sie behandelte wie eine gewöhnliche Hure? Sie bebte, so stark war der primitive Drang, ihn zu verletzen, ihn bluten zu sehen, ihn zu schlagen, ihn zu beißen und mit den Fingernägeln blutig zu kratzen.
Das ging nicht; so viel war ihr klar. Entweder würden seine Gorillas sie auf der Stelle erschießen oder sie von ihm wegzerren, um sie später zu beseitigen. Das Eingeständnis, dass sie nichts gegen ihn ausrichten konnte, war noch bitterer.
Ein bedingungslos rationaler Teil ihres Verstandes befahl ihr, sich zusammenzureißen und die Situation zu analysieren, aber irgendwie konnte sie diese stürmischen Emotionen nicht beiseiteschieben. Sie waren wie riesige Wellen, die über ihre Schutzmauern schwappten und sie inzwischen zum dritten Mal zu ertränken drohten.
Dafür musste Rafael bezahlen. Sie wusste nicht wie, aber sie würde dafür sorgen, dass er dafür bezahlte. Sie konnte unmöglich mit dem Wissen weiterleben, dass er sie so in den Dreck getreten hatte. So sehr das Leben sie auch herumgestoßen hatte, sie hatte sich immer daran aufrichten können, dass es ihr erspart geblieben war sich zu prostituieren. Sie hatte sich stets als Rafaels Geliebte gesehen, nicht als seine Hure, was vielleicht Haarspalterei war, aber für sie war das ein verdammt wichtiges Haar.
Jetzt konnte sie sich nicht mehr mit dieser Illusion trösten. Für Rafael war sie nicht mehr als eine Ware,
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