Süße Teilchen: Roman (German Edition)
aufgetragen?«
»Ich habe den Arm unter kaltes Wasser gehalten, aber meine Wunden heilen nicht so schnell. Da, schau.«
Ich zeige ihm den anderen Arm, über dessen Unterseite sich lange dünne Kratzer ziehen, als wäre ich mit einer Katze aneinandergeraten.
»Über die habe ich mich auch schon gewundert.« James mustert mich argwöhnisch.
»James! Wirke ich wie jemand, der sich selbst verletzt?« Das erledigst du doch für mich.
»Nein, natürlich nicht, das habe ich nie gedacht.«
»Was hast du dann gedacht? Dass ich mir ab und zu einen Schuss setze? O James, ich wollte es dir nicht sagen, aber soll ich dir mal meinen Drogenvorrat zeigen?«
»Quatsch, ich finde es lediglich verwunderlich. Diese roten Streifen hast du schon, seit wir uns kennen.«
»Weil ich im Januar in Mendoza von einem Felsen gestürzt bin und nur ein kurzärmeliges T-Shirt anhatte. Ich bin auf Geröll gelandet und habe mir die Arme aufgeschürft. Wahrscheinlich hätte ich vorher kein zweites Glas Merlot trinken sollen.«
»Und du hast immer noch diese Kratzer?«
»Ja, ich sage doch, dass es bei mir ewig dauert, ehe etwas heilt. Das liegt an meinem Blut. Was glaubst du, wie leicht ich blaue Flecken bekomme.«
»Hm. Na schön – ich habe ja auch Narben. Habe ich dir die schon mal gezeigt?«
»Die hast du mir nicht nur gezeigt, du hast auch in epischer Breite geschildert, wie du zu jeder einzelnen gekommen bist.« Mitunter weiß James nicht mehr, was er mir schon erzählt hat und was nicht. Muss wohl an seinem Alter liegen.
»Wirklich?«
»Ja, wirklich. Rechter Ellbogen, Rugby im sechsten Schuljahr, Forest gegen Chigwell, Terry Watson war schuld. Rechte Hand, zweiter Knöchel von links, Ursache unbekannt, der Alkohol war schuld. Linkes Knie, Floßfahrt in Kanada, 1984, mit Specht. Rechte Augenbraue, du bist mit dem Auto-Scooter auf einen anderen geknallt, Kirmes in South Woodford, 1969. Sag mal, gab es da eigentlich schon Farbfilme?«
»Du hast ein beängstigend gutes Gedächtnis. Können wir jetzt essen? Was gibt es heute eigentlich?«
»Möchtest du Heroin oder lieber Crack?«
James tut, als wollte er mich erwürgen. Ich sinke zu Boden und tue, als würde ich sterben.
Am nächsten Tag ruft Maggie mich bei der Arbeit an.
»Ich habe eine Frage«, sagt sie. »Für die Antwort hast du zehn Sekunden. Pass auf.«
»Bitte sag, dass du dringend eine Angestellte brauchst. Nein, frag, ob ich bei dir arbeiten möchte.«
»Hast du Lust, am 1. August im El Bulli zu essen? Ich zähle. Eins, zwei, drei –«
»Da hast du einen Tisch bekommen? Und jetzt lädst du mich ein? Mann, ich flippe aus.« Ich muss wohl gekreischt haben, denn Lisa runzelt die Stirn. Eddie zwinkert mir zu.
»Nein, ich lade dich nicht ein.«
Oh, wie peinlich.
»Auf diesen Tisch habe ich fünf Jahre lang gewartet, und jetzt muss ich ausgerechnet an dem Wochenende zu einer Messe in Harrogate und habe zig Kunden, die damit rechnen, dass ich sie dort abends beköstige.«
»Soll ich dir dabei helfen? Ich könnte an deinem Stand –«
»Herrgott, jetzt lass mich doch mal ausreden. Ich möchte, dass du meinen Tisch im El Bulli übernimmst und jemanden dazu einlädst, der diese Ehre auch wert ist.«
Oje. Hätte ich Maggie doch bloß nichts von James’ Anfall erzählt. Wie hat sie James noch genannt? Ach ja, »ein widerwärtiges Arschloch«.
»O Maggie, tausend, tausend Dank. Ich stehe auf ewig in deiner Schuld.«
Nach dem Telefonat schicke ich ihr für fünfzig Pfund einen Strauß Pfingstrosen, ihre Lieblingsblumen.
Das El Bulli ! Noch nie hat es auf der Welt ein besseres Restaurant gegeben. Zwei Millionen Menschen versuchen dort jährlich einen Tisch zu bekommen, doch ihre Chancen sind so hauchdünn wie eine Scheibe Carpaccio.
Ich sollte Laura mitnehmen, das weiß ich. Sie ist meine beste Freundin und wird es immer bleiben. Sie und ich sind die Pferdediebe. Laura ist die größte platonische Liebe meines Lebens.
Und was ist mit James? Aber hat er einen solchen Gefallen wirklich verdient?
Ehe ich lange darüber nachdenken kann, rufe ich ihn an. »Ich bin es. Hast du am 1. August Zeit?«
»Warum?«
»Ja oder nein?«
»Ich denke schon.«
»Gut, denn ich habe einen Tisch im El Bulli und du darfst mitkommen. Wegen der Flüge rufe ich später noch mal an.« Ehe er fragen kann, was für ein El Bulli oder was für Flüge, lege ich auf. Ich bin total aus dem Häuschen, nur wegen der Wahl meiner Begleitung bin ich ein bisschen enttäuscht von mir selbst.
Eine Woche
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