Süße Teilchen: Roman (German Edition)
Zitronenkuchen mitgebracht.«
»Mein Engelchen. Evie! Wir brauchen drei Teller. Evie? Warum trägst du einen Hut? Setz dich, Sophie, lass dich anschauen.«
Ich setze mich auf den Samthocker zu ihren Füßen. Ihre Fußgelenke sind geschwollen, aber die Beine so dünn und knochig, dass sie wie Stöcke aus den Schaffellpantoffeln ragen.
»Was gibt es Neues?«, erkundigt sie sich.
»Nicht viel. Ich habe einiges zu tun, denn mittlerweile darf ich eigene Produkte entwickeln. Und ich war in New York. Dort habe ich die besten Cannoli der Welt entdeckt.«
»Ah, New York, was für eine Stadt! Dein Vater war während des Krieges dort, als er zurückkam, haben wir uns kennengelernt. Das war im Juni. Es war schon sehr warm, ich war in Papas Laden und habe geholfen, Eiscreme zu verkaufen.«
Ich nicke. Die Geschichte habe ich schon viele Male gehört, es ist immer die gleiche, nur dass sie meinen Vater diesmal wieder mit meinem Großvater verwechselt.
»Eines Tages ist Papa Reuben Meyers über den Weg gelaufen und der hat ihm von einem jungen Mann erzählt, der gerade erst aus dem Krieg zurück war. Ein junger Mann aus guter Familie, die in Bloomsbury gewohnt hat. Den hat Papa zum Tee eingeladen – Tee mit Zitrone. Und vorher hat er mir gesagt, wenn ich mich nicht benehme oder dummes Zeug rede, würde er mich zum Teufel jagen.«
Auch diese Geschichte kenne ich. Damals hatte mein Urgroßvater die jüngeren, sanftmütigen Schwestern meiner Großmutter schon verheiratet.
»Ich war fünfundzwanzig«, fährt meine Großmutter fort. »Aber Papa hat gesagt, ich wäre eine alte Moid und eine Schande.«
Evie reicht meiner Großmutter einen Teller mit einem Stück Zitronenkuchen und einen Löffel. Meine Großmutter macht eine Faust um den Löffelstiel.
»Er hat gesagt, wenn einer kommt und mich heiraten will, muss ich Gott auf Knien dafür danken, auch wenn der Mann nicht viel schöner als ein Affe wäre.« Vielleicht sollte ich mir diesen Rat auch zu Herzen nehmen. »Und ich dürfte von einem Mann im Café nie mehr als ein Stück Kuchen verlangen, denn gierige Frauen würden nicht geheiratet. Oh, das ist aber ein guter Kuchen.«
»Es ist ja auch dein Rezept.«
»Das weiß ich.« In ihrem Mundwinkel klebt ein Krümel. Sie wirkt tatsächlich sehr alt und gebrechlich. »Was ist mit deinem neuen Freund?«
Gute Frage. Ich überlege, ob sie James mögen würde. Wenn er will, kann er sehr charmant sein, aber von so etwas hat meine Großmutter sich noch nie täuschen lassen. Wenn ich beschreiben müsste, was mir an ihm am besten gefällt, wäre es seine Mischung aus Männlichem und Jungenhaftem. James ist bestimmt und selbstsicher, aber dann wieder kann er herumalbern und Witze reißen. Vielleicht würde meine Großmutter das liebenswert finden, aber vielleicht würde sie es auch als unreif bezeichnen. Ich möchte, dass sie ihn kennenlernt und mir sagt, was sie von ihm hält, denn auf ihren Instinkt ist Verlass. »Soll ich ihn dir einmal vorstellen?«
»Ja, das wäre schön. Wie geht es eigentlich Nicholas? Das war so ein hübscher Junge.«
Nick hat sich rührend um meine Großmutter gekümmert. Als sie noch besser zu Fuß war, ging er mit ihr manchmal in das österreichische Café um die Ecke, lud sie zu Braunem und Apfelstrudel ein und hörte ihr zu, wenn sie die Zeilen eines Gedichts zitierte oder sich über den Zustand der Welt ausließ. Ob James so etwas tun würde? Irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen.
»Nick geht es gut. Er ist in Paris und spielt bei einer Band. Ihre Musik ist sogar aufgenommen worden, sie sind schon richtig berühmt.«
»Sag ihm, dass ich ihm alles Gute wünsche. Aber jetzt bin ich ein bisschen müde – Evie!« Meine Großmutter gähnt ausgiebig.
Von einem Moment zum anderen ist ihre Munterkeit in Erschöpfung umgeschlagen. Ihr Körper hat keine Kraft mehr, und auch ihr Verstand ist seit Kurzem nicht mehr, was er einmal war. Aber das Schlimmste ist, dass sie sich langweilt, so sehr, dass sie sich das Leben nehmen würde, wenn sie die richtigen Schlaftabletten hätte.
Ich verabschiede mich mit einem Kuss und sehe ihr nach, als Evie sie über den Flur zu ihrem Schlafzimmer führt.
»Was hast du denn da?«, fragt James, nimmt meinen Arm und betrachtet die verbrannte Stelle.
Ich hatte die Brandwunde schon vergessen, aber sie ist immer noch rot und geschwollen.
»Daran ist mein Ofenhandschuh schuld.«
»Wann ist das passiert?«
»Weiß ich nicht – vor einer Woche oder so.«
»Hast du Salbe
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