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Süße Teilchen: Roman (German Edition)

Süße Teilchen: Roman (German Edition)

Titel: Süße Teilchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Newman
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man einen Menschen angreifen und wann ihn umschmeicheln muss, und jedes Mal ist er erfolgreich. Weiß der Himmel, was er zu der Frau gesagt hat, doch sie nickt in Richtung meines Marmeladenglases und winkt uns durch die Schleuse.
    »Und?«, frage ich, als sie uns nicht mehr hören kann.
    »Was und?«
    »Na, was hast du ihr gesagt?«
    James zuckt mit den Schultern.
    »Weich mir nicht aus! Hast du gesagt, ich wäre marmeladensüchtig?«
    James wendet den Blick ab.
    »Oder Diabetikerin? James! Jetzt sag, wie du es geschafft hast.«
    »Gib mir mal das Glas.« Ich reiche es ihm. Er schraubt den Deckel ab und fährt mit der Zunge durch die Marmelade. »Nicht schlecht.«
    »Los, jetzt sag es schon.«
    »Warum? Es hat doch geklappt.«
    Auch im Ausweichen ist mein Freund ein Genie. Und im Überhören von Fragen.

Zwei Wochen nach unserer Rückkehr aus Frankreich und sechs Monate nach dem Beginn unserer Beziehung nehme ich James mit zu meiner Großmutter.
    Sie hat ihr bestes blaues Kleid aus Seidencrêpe an und trägt eine Brillantbrosche in Form einer Lilie. Ihre Fingernägel sind diesmal feuerrot lackiert.
    Sie redet James mit »Nicholas« an, aber sonst verläuft der Nachmittag gut. Meine Großmutter erzählt von ihrer Jugend in Leytonstone. Wie sich herausstellt, haben sie und James als Kind beide im Wald von Epping gespielt.
    Dann kommt ihre Lieblingsgeschichte, in der sie in der Synagoge »Jesus, ich liebe dich« gesungen und den Rabbi tief erschüttert hat.
    »Damals war ich das einzige jüdische Kind in einer katholischen Schule, und Schwester Eugenia hat gesagt, für jedes ›Jesus, ich liebe dich‹, bekäme ich ein Blumenbeet im Himmel. Aber vor der Ohrfeige meines Vaters hat der Herr mich nicht gerettet.«
    Als Nächstes erzählt sie James, dass sie im Laden ihres Vaters einmal sämtliche Karamellbonbons gegessen und sie durch Steine ersetzt habe, woraufhin sich sein bester Kunde einen Zahn ausgebissen habe. Und wie ich mit vier Jahren unter die Anrichte kroch und dort einen Brillantohrring fand, den sie sechs Jahre vorher verloren hatte, und sie seit dem Tag wisse, dass ich als Einzige in der Familie ihren Verstand geerbt habe.
    James berichtet von seinen Reisen nach China. Meine Großmutter ist fasziniert. »Millionen Menschen, die mit dem Fahrrad unterwegs sind?«
    »Ja. Und wenn meine Lieferanten mit mir essen gehen, bestellen sie eine Flasche Wein für zweihundert Pfund, den sie im Glas mit Cola mischen, denn Wein mögen sie nicht.«
    »Was sind denn das für Blödmänner?«, wundert sich meine Großmutter.
    »Eine reizende alte Dame«, sagt James auf dem Heimweg.
    Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob meine Großmutter sich für ihn erwärmt hat. Sie war wie immer gastfreundlich und liebenswürdig, aber dann und wann hat sie James so kritisch gemustert, als wäre er eine Haushaltshilfe, die ihre Suppe versalzen hat. Fairerweise muss man sagen, dass meine Großmutter grundsätzlich nicht leicht zu beeindrucken ist. Vor Jahren war mein Freund Gerry Katzman aus New York bei mir zu Besuch. Gerry ist Zauberer von Beruf. Meine Großmutter hatte damals gerade eine hartnäckige Grippe hinter sich, und ich beschloss, sie mit unserem Besuch ein wenig aufzumuntern. Gerry führte ihr ein paar Kunststücke vor. Zu guter Letzt bat er sie, an eine bestimmte Spielkarte zu denken. Als meine Großmutter nickte, hustete er und zog die Spielkarte, an die sie gedacht hatte, aus dem Mund.
    Ihre Antwort: »Hygienisch kann das aber nicht sein.«
    Es ist Mitte August, eine Woche vor Shelliis Niederkunft. Ich bin bei Jack, der über meiner Großmutter wohnt, um zu fragen, ob er mir netterweise den Zugangscode zu seinem WLAN verrät. Meine Großmutter ist für Computer und Internet zu alt, aber ich glaube, wenn sie sich darauf einließe, würde es ihr gefallen. Vielleicht ist es dafür auch zu spät, schließlich behandelt sie ihr schnurloses Telefon wie ein Walkie-Talkie, und sie hat bis heute nicht begriffen, dass die Ansage auf einer Mailbox aufgenommen worden ist.
    Jack ist Architekt, vierzig, sehr attraktiv und ledig. Während wir uns unterhalten, flirtet er mit mir. Früher habe ich nicht verstanden, dass er in seinem Alter noch nicht verheiratet ist, doch seit ich James kenne, wundere ich mich darüber nicht mehr so sehr. Jack könnte mir gefallen, wäre ich nicht mit James zusammen. Vor einem Jahr war das noch anders, da hielt ich Jack für zu alt, aber inzwischen betrachte ich vierzig als jugendliches Alter. Dass James auf die

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